Vorweihnachtlich oder adventlich?

Dieses „Wort der Woche“ wurde als Predigt gehalten am Sonntag, 07. Dezember 2014, im Rahmen einer Live-Übertragung unserer sonntäglichen Eucharistiefeier durch den DEUTSCHLANDFUNK:

Liebe Schwestern und Brüder an den Rundfunkgeräten, liebe Schwestern und Brüder in unserer Quickborner Kirche!

Vorweihnachtszeit oder Adventszeit? Wie nennen Sie die Zeit jetzt in den Wochen vor dem Geburtsfest Jesu? In einem Gesprächskreis haben wir uns diese Frage einmal gestellt.

Das Wort „vorweihnachtlich“ wurde in Verbindung gebracht mit umfangreichen Vorbereitungen auf ein großes Fest. Und weil dieses so groß ist, bleibt es nicht auf ein oder zwei Tage beschränkt. Unbedingt gehört der Besuch eines Weihnachtsmarktes dazu. Unsere Sinne werden bereichert durch Tannengrün, Lichterketten, Apfelduft und Nussgeschmack. Dann die bekannten Melodien. Alles gibt uns einen Vorgeschmack vom großen Fest. Alles mag sich verdichten zu einem Gefühl voller Sehnsucht.

Und was verbinden wir mit dem Wort „Advent“? Die Gesprächsrunde wurde merklich stiller, nachdenklicher. Jeder kennt zwar Adventskranz und Adventsgesteck; jemand sagte auch noch, dass Advent so viel bedeutet wie Ankunft. Aber worauf bezieht sich diese Ankunft?

Das soeben gehörte Evangelium kann uns eine Hilfestellung geben. Wir hören die eindringliche Mahnung: „Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen.“ Johannes der Täufer spricht von der Bereitschaft unseres Herzens: Ja, da kommt noch jemand, wir haben in unserem Leben noch jemand zu erwarten. Von vorweihnachtlicher Stimmung ist aus den Worten des Propheten nichts zu vernehmen. Vielmehr Ermahnung zur Umkehr, zur Taufe, zur Vergebung.

Bereits in der Antike sprach man von „Advent“: So nannte man die Zeit, die der König oder Herrscher seinen Untertanen schenkte, wenn er sie aufsuchte, sich ihnen zeigte. Diesen Adventsbegriff übernahmen die Christen. Sie drückten damit ihren Glauben aus, dass Gott in jenem Kind von Bethlehem unter den Menschen angekommen ist – sozusagen als König unseres Lebens, als Retter, als Heiland.

Wir Christen im 21. Jahrhundert haben deshalb zwei Blickrichtungen. Wir blicken dankbar zurück auf die geheimnisvolle Geburt vor zweitausend Jahren. Der Sohn Gottes kommt aus dem Bereich des Ewigen, geboren von seiner Mutter Maria, hinein in die Dunkelheit dieser Welt, in die Nacht der Welt. Diese Nacht bleibt geheiligt: Weihnacht.

Andererseits wissen wir: Eine weitere, eine unmittelbare Begegnung mit Gott steht für uns noch aus. Die Bibel sagt uns: „Wir werden einmal Gott sehen, wie er ist.“ (1. Joh 3,2). Wir haben da noch etwas zu erwarten, also Advent – Ankunft.

Indem wir sowohl zurück als auch nach vorn schauen, passen beide Worte „vorweihnachtlich“ und „adventlich“ wie in einem geistlichen Spannungsbogen bestmöglich zusammen.

Eine Frau in unserem Gesprächskreis formulierte: Mit dem Advent erwarten wir in Wirklichkeit das Kommen des bereits Gekommenen. Advent – Ankunft – wir erwarten den, so wie es in unserem gemeinsamen Glaubensbekenntnis heißt, der einmal wiederkommen wird mit Macht und mit Herrlichkeit. Von daher ist diese Feststellung sehr treffend: Wir erwarten das Kommen des bereits Gekommen.

Gott selber sucht diese Beziehung, Gott sucht diese Begegnung. In seinem Kommen sucht Gott die Begegnung mit dem Menschen, die Begegnung mit uns.

In vielen Gebeten und Liedern bitten wir darum, wie z. B. in dem Lied: „Komm, Du Heiland aller Welt!“ Oder auch das Lied, das wir zum Abschluss dieses Gottesdienstes singen werden: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Auch in diesem Lied dringt das sehnsuchtsvolle „Komm“ in der letzten Strophe unüberhörbar durch: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist.“

In unserer Gesprächsrunde sagte jemand: Ich stelle mir vor: Was wir singen und beten, das passiert tatsächlich! Wir rufen: „Komm, o mein Heiland Jesu Christ“ – und er kommt tatsächlich in unser Leben. Was machen wir dann?

Ja, was dann? Bedenken wir überhaupt, worauf wir uns da einlassen, indem wir uns an Gott wenden und ihm zurufen „Komm“? Ich könnte auch zu Gott beten: „Warte, es eilt nicht. Ich komme schon zurecht.“ Wenn wir ehrlich sind, sind wir gespalten. Dieser Widerspruch gehört wohl zu unserem Leben dazu.

Dennoch: Wir erwarten das Kommen des bereits Gekommenen – und das mit Macht und mit Herrlichkeit. Diese Macht, so glaube ich, wird nie die Macht des Schreckens sein. Das passt nicht zu Jesus. Mag sein, dass wir über uns selbst erschrecken wegen unserer eigenen Halbherzigkeit oder wegen unseres mangelnden Glaubens. Denn die Bereitschaft unseres Herzens, Gott in unser Leben einzulassen, kennt nur allzu oft Grenzen.

Aber wenn Jesus kommt, so wie wir ihn erwarten, dann wird er wiederkommen mit der Macht seiner Liebe. Für uns eigentlich unvorstellbar. Es wird eine Liebe sein, die uns verändern möchte, und ich bin persönlich davon zutiefst überzeugt, die jeden von uns überwältigt.

Es gibt Menschen, die in den Tagen vor Weihnachten beschäftigt sind mit vielen Vorbereitungen. Da mögen vor allem im Bereich von Familie und allen, die einem nahe stehen, viele Zuneigungen sich verdichten. Weihnachten als Fest der Nähe, als Fest der Liebe stellt wirklich eine Besonderheit dar.

Es gibt aber auch Menschen, die blicken darüber hinaus. Es gibt Menschen, die gerade in der Zeit des Advents sich vornehmen, ihre Beziehungen zu bestimmten Menschen neu zu regeln. Es gibt Menschen, die in diesem Zusammenhang eine neue Einstellung zum Leben gewinnen wollen. Und was wäre, wenn wir begännen, unsere Beziehung zu Gott als eine Beziehung der Liebe zu betrachten? Das würde dem Geist Jesu sehr, sehr nahe kommen.

Wie nennen wir diese Zeit, in der wir stehen: Vorweihnachten oder Advent? In unserem Gesprächskreis erinnerte sich jemand an seine Kindheit, an die unbändigen Sehnsüchte im Zugehen auf das Weihnachtsfest – mit den glitzernden Lichtern und den vielen schönen Geschenken. Und er sagte: Diese kindliche Sehnsucht möchte ich mir mein ganzes Leben bewahren – bis zu meinem letzten Atemzug, wenn ich einmal im Namen Jesu mein Leben in die liebenden Hände Gottes legen kann.

Ich möchte hinzufügen: Das ist unser Glaube, unser Glaube an Jesus, den Menschgewordenen. An Jesus Christus, den Auferstandenen. Aus diesem Glauben heraus leben wir. Wenn er einmal wiederkommt mit der Macht seiner Liebe, dann wird Christus uns mehr schenken, als wir uns vorzustellen imstande sind.

Pfarrer Wolfgang Guttmann