Liebe Schwestern und Brüder,
in traditionsbewusster Erinnerung brachte die Deutsche Bundespost im Jahr 1957 zum 350. Geburtstag als auch 1976 zum 300. Todestag Briefmarken mit dem Porträt Paul Gerhards heraus. Dieser bescheidene und anspruchslose ev.-luth. Theologe und Pastor, der gewiss zu den bedeutendsten deutschsprachigen Kirchenlieddichtern gehört, hinterließ erstaunlich viele Liedtexte und Gedichte. Neben anderen Komponisten nahm sich auch J. S. Bach dieser tiefreligiösen Texte an und versah sie mit eigenen Melodien. Viele dieser Lieder fanden längst Eingang in das katholische „Gotteslob“ (GL). Wegen des bevorstehenden Jubiläumsjahres der Reformation 2017 werde ich bis Ende August an dieser Stelle Lieder von Autoren wiedergeben, die aus unserem römisch-katholischen Gebet- und Gesangbuch gesungen werden, jedoch aus evangelisch-lutherischer Tradition stammen. Aus unserem „Gotteslob“ sind sie nicht wegzudenken.
Im „Gotteslob“ finden wir folgende Lieder von Paul Gerhard:
– Lobet den Herren alle, die ihn ehren (GL 081)
– Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städt und Felder (GL 101)
– Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben (GL 256)
– O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn (GL 289)
– O Herz des Königs aller Welt (GL 369)
– Nun danket all und bringet Ehr, ihr Menschen in der Welt (GL 403)
– Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt (GL 418)
– Nun freut euch hier und überall, der Herr ist auferstanden (GL 776)
– Geh aus, mein Herz, und suche Freud (GL 865)
Die in seine Kirchenlieder einfließende Einheit von Frömmigkeit und Dichtkunst erlernte der 1607 in Gräfenhainichen geborene Paul Gerhard bereits an der Universität Wittenberg. Allerdings war während seiner vergleichsweise langen Studienjahre von 1628 bis 1643 (er war der zweite Sohn einer Gastwirtsfamilie, aus der vier Kinder hervorgingen) für das konkrete Studium nicht viel Zeit. Wittenberg wurde überlaufen, viele Leidgeplagte suchten ihre Zuflucht vor den Folgen des Dreißigjährigen Krieges, zudem grassierte in der Stadt die Pest. Seine nur etwa 25 km entfernte Geburtsstadt wurde 1637 von schwedischen Soldaten zerstört. Verfolgung, Krankheit und Tod traf auch seine Familienangehörigen. Die bitteren Erfahrungen dieser Zeit wirkten sich natürlich auch prägend auf Paul Gerhard aus.
In den Orten seines späteren seelsorglichen Wirkens wie Berlin, Mittenwalde, wiederum Berlin und schließlich Lübben war es nicht anders. Die Berliner Bevölkerung beispielsweise war durch Krieg, Pest, Pocken und Bakterienruhr um die Hälfte geschrumpft. Zum Trost für die beklagenswerten Familien textete Paul Gerhard Reime, die die Menschen durch die Botschaft des Evangeliums Jesu aufrichten und zu heiliger Andacht führen sollten. Während seiner Zeit in Mittenwalde verfasste er u. a. das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“, was noch heute ein Lied geistlicher Erbauung ist. Als Vorlage verwandte er ein mittelalterliches Lied, welches als Passionslied bekanntermaßen schließlich Eingang in die Matthäus-Passion von J. S. Bach fand. In die seelsorgliche Zeit Paul Gerhards in Mittenwalde fällt auch die Hochzeit mit seiner Frau Anna Maria, die fünf Kindern das Leben schenkte, von denen aber nur eines überlebte.
Seine zweite Berliner Zeit war überschattet von einer konfessionellen Auseinandersetzung zwischen Lutheranern und Calvinisten. Da Paul Gerhard, wie viele andere auch, sich weigerte, einem vom Kurfürsten verordneten Toleranzedikt zwischen den beiden untereinander streitenden Glaubensrichtungen zuzustimmen, wurde der Seelsorger der Nikolaikirche gegen den Willen der Berliner Bürger entlassen. Bis zu seinem Tod, 06. Juni 1676, erhielt Paul Gerhard schließlich noch eine weitere seelsorgliche Stelle in Lübben/Spreewald, der er zur Freude der dortigen Kirchengemeinde mit großer Verantwortung nachging.
Paul Gerhards umfangreiche Erfahrungen mit Krieg, Krankheit und Tod spiegeln sich natürlich in seinen Gedichten wieder. In seinen Liedern nimmt er alles an Trauer und Hoffnung auf, was das Leben eines an Jesus Christus Glaubenden ausmacht. Dazu gehört auch die Einmaligkeit und Schönheit der Schöpfung Gottes, deren Nähe und Sympathie in dem Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ zum Ausdruck kommt. Gern will ich auf einige Besonderheiten dieses Liedes hinweisen.
Dieser Sommergesang gehört gewiss zu den beliebtesten Liedern Paul Gerhards. Selten werden wohl alle 15 Strophen gesungen, bevorzugt werden die Strophen 1 – 3 sowie die 6. Obwohl Paul Gerhard ein guter Theologe ist, werden in diesem Lied nicht Lehrsätze formuliert, sondern Sinne geweckt und Bilder gemalt. Im Mittelpunkt steht „der schönen Gärten Zier“, womit eigentlich die gesamte Schöpfung gemeint ist. Sie wird mit leichter Sprache und fließender Melodie besungen.
Ausdrücklich wird bereits in der ersten Zeile das Herz angesprochen. Gemeint ist natürlich der Mensch. Der Mensch darf sich daran erinnern, dass das Herz jene Mitte ist, aus dem heraus es sich mit seinem Gegenüber beschäftigen kann. Das kann auch der Betreffende selber sein, wenn es entsprechend heißt: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“.
Die Gegenwart Gottes wird in diesem Lied als selbstverständlich vorausgesetzt. Das Herz aber soll die Gaben des Schöpfers bewusst wahrnehmen und sich von Gott reich beschenkt fühlen. In kühner Weise wird Paul Gerhard eine sprachliche Unterscheidung zwischen dem Ich auf der einen und dem Herz auf der anderen Seite machen: „Siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben“. Paul Gerhard ahnt: das Ich kann wohl manches wissen, die Augen können auch manches erfassen. Es bedeutet jedoch noch lange nicht, dass das Herz innerlich davon berührt wird.
Seine bemerkenswerte sprachliche Unterscheidung ist bei allen Strophen zu berücksichtigen. Paul Gerhard geht davon aus, dass das Herz mehr zu erfassen vermag, als das Auge. Zugleich ist das Bild des blühenden Sommers eine Vorausschau paradiesischer Vollendung. So knüpft die 6. Strophe gedanklich an die erste an. Auch da spricht wiederum das Ich. Gottes Gaben werden jetzt Gottes Tun genannt. Über die Weise des Singens finden Ich und Herz schließlich zusammen zu einer einzigen Einheit: “Ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem höchsten klingt, aus meinem Herzen rinnen.“
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ ist ein äußerst gelungenes Werk
des großen ev.-luth. Theologen, Seelsorgers und Kirchenlieddichter Paul Gerhard. Auch in der röm.-kath. Kirche will dieses Lied sowie viele andere seiner Lieder noch heute gern gesungen werden.
1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.
2. Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.
3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fleucht aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder.
Die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
6. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen:
Ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.
Pfarrer Wolfgang Guttmann