Für- und Miteinander der Generationen

An diesem 2. Fastenonntag gestalten die Caritas-Konferenzen-Deutschlands (CKD) bundesweit die hl. Messen. Der Predigtvorschlag zu den Eucharistiefeiern kommt in diesem Jahr aus Quickborn:

Liebe Schwestern und Brüder,

es war ein Tag, den Jung und Alt nicht so schnell vergessen werden. Zusammen mit ihrer Religionslehrerin besuchten Schülerinnen und Schüler ein Seniorenwohnheim. Dort veranstalteten die jungen Leute einen Lesewettbewerb. Dieser kam bei den älteren Leuten sehr gut über. Von den Schülern wurde anregende Lektüre vorgetragen. Diese Lesestücke griffen sowohl die Lebensbereiche der jungen Generation auf als auch die der älteren. Es war Literatur zum Nachdenken ebenso wie zur Erbauung. Am Ende dieser Nachmittagsveranstaltung gab es viele zufriedene Gesichter. Bei den jungen Leuten, weil sie ein interessiertes Publikum vorfanden und bei den Senioren, weil ihnen eine geistreiche Abwechslung ihres Lebensalltages geboten wurde.

Generationenübergreifende Erfahrungen. Dass sich Menschen verschiedener Generationen begegnen, ist in unserer Zeit so selbstverständlich nicht. Gewiss, es gibt Begegnungen in der Kleinfamilie zwischen Eltern und Kindern. Oma und Opa jedoch haben in der Wohnung entweder keinen Platz oder sie leben weit entfernt. Ein Leben und Wohnen über mehrere Generationen hinweg findet immer seltener statt. Gelegenheiten der Begegnung wie die anfangs Genannte sind schon eine Besonderheit. Sie sollten mehr und mehr ausdrücklich gefördert werden. Senioren sind angetan von der Wachheit und Lebensnähe junger Leute. Ebenso erfahren junge Leute, wie die ältere Generation am Leben teilhaben möchte. Schließlich waren sie selber auch einmal jung und erinnern sich nur zu gern an ihre früheren Lebensphasen.

Ein Dialog der Generationen ist daher wichtiger denn je. Er geht auch einher mit Überlegungen, was zu tun ist, damit wegen des bekannten demographischen Wandels der älteren Generation ein bestimmtes Maß an Lebensqualität erhalten werden kann.

Noch heute gibt es Kulturen, die als Absicherung des Lebensstandards im Alter auf eine Vielzahl eigener Nachkommenschaft setzt. Aus vielen Gründen ist diese Einstellung für unsere europäische Zivilisation unvorstellbar. Für die Erhaltung von Lebensqualität im Alter ist daher nicht ausschließlich die eigene Familie zuständig, sondern die ganze Gesellschaft. Verwandtschaftliche Beziehungen müssen deswegen nicht auf der Strecke bleiben. Sie werden vielmehr ergänzt. Ein generationenübergreifender Dialog bleibt daher unverzichtbar.

Die Sorge um eine Verantwortung der jungen für die ältere Generation kennt auch die Bibel, hier allerdings vornehmlich innerhalb der eigenen Verwandtschaft. Im bekannten 4. Gebot (Ex 20,12) heißt es: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Dieses Gebot ist nicht ohne Grund gleich als erstes genannt nach jenen drei Geboten, die das Verhältnis zwischen Gott und Mensch betreffen. Von allen Geboten also, die die Beziehungen von Menschen untereinander regeln, besitzt dieses Gebot einen äußerst hohen Stellenwert: „Ehre deinen Vater und deine Mutter.“

Vom Ursprung her wendet sich dieses Gebot nicht an Kinder. Es wendet sich an die Welt der Erwachsenen. Sie, die Erwachsenen, werden ermahnt, für ihre alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, zu sorgen. Schwachgewordene Eltern sind also nicht auf die Seite zu schieben, auch dann nicht, wenn die Sorge und Pflege eine längere Zeit in Anspruch nimmt. Fromme Leute stellten auch zu früheren Zeiten zu Recht fest, dass dieses Gebot sicherlich als eines der am schwersten zu befolgenden verstanden werden kann.

Die Sorge um die vorhergehende Generation wird nun aktuell ergänzt durch das Mitwirken der ganzen Gesellschaft. Damit partnerschaftliche Menschlichkeit jenseits von Verwandtschaft praktiziert werden kann, denken nicht wenige in unseren Tagen beispielsweise an die Errichtung von Mehrgenerationenhäusern. In diesen Einrichtungen können Jung und Alt unter einem Dach zusammenwohnen, sie begegnen sich mit ihren jeweiligen Charismen, lernen voneinander und können sich mit ihren verschiedenen Aufgabenfeldern ergänzen.

Mutter sein, Vater sein, ist ein Mensch sein Leben lang, auch als Oma und Opa. Und verantwortungsbewusste Eltern wissen: Liebe wächst, wenn sie mit den Kindern geteilt wird.

Die Tradition christlicher Kunst kennt eine sehr schöne Darstellung der Vertreter verschiedener Generationen. Mit der „Anna Selbdritt“, wie diese Darstellung seit Jahrhunderten genannt wird, wird das Aufeinanderfolgen von Generationen einschließlich deren menschliche Nähe wiedergegeben. Im Vordergrund das Kind Jesus, als Knabe stehend oder auch sitzend auf dem Schoß seiner jugendlich dargestellten Mutter Maria, und dahinter als erfahrene und reife Frau die Mutter und Großmutter Anna, also die Mutter Marias. Die drei Generationen umgreifen einen umfassenden Lebenszyklus. Wandel und Erneuerung ist in ihnen ebenso angelegt wie Dialog, Beziehung und nicht zuletzt der liebende Glaube an das Leben. Bei allen Veränderungen, die das Leben mit sich bringt und die zwischen Generationen auftreten können, zeigt diese Darstellung in idealer Weise, wie Beziehungen aussehen können, wenn Gott in ihrer Mitte wohnt.

Während die kluge und weise Mutter Anna zusammen mit ihrem Ehemann Joachim alles tut, um ihr Kind Maria in die Heilsgeschichte des Volkes Israel einzuführen und darin zu unterrichten, wird Maria zusammen mit ihrem Bräutigam Josef dem Schutz ihres Kindes Jesus allergrößte Bedeutung zukommen lassen. Maria besitzt zumindest eine Ahnung vom messianischen Wirken ihres Sohnes Jesus, indem sie einmal in ihrem Umfeld den Anwesenden sagen wird: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5).

Jesus weiß allerdings auch um seine Verantwortung seiner Mutter gegenüber. Sterbend am Kreuz wird Jesus sich verantwortungsbewusst um die Zukunft seiner Mutter sorgen. Im Zusammenhang mit dem Kreuzigungsgeschehen heißt es im Johannesevangelium (19,26f.): „Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“

Das Christentum kennt zunächst eine hohe Verantwortung innerhalb der eigenen Familie. Ein Christ kennt aber auch eine Verantwortung über die Blutsverwandtschaft hinaus. Im Geiste Jesu gehören wir alle irgendwie zusammen wie in einer großen Familie. Für Jesus ist nicht Blutsverwandtschaft maßgeblich. Wichtiger ist dem Sohn Gottes, dass jemand, der der Hilfe bedarf, zum Nächsten wird. Und der Nächste ist immer derjenige, dem, über alle Verwandtschaft hinaus, meine Sorge, meine Verantwortung und mein Wohl zu gelten haben.

Gerade und ausgerechnet mit ihm wird Jesus sich mit dieser Person identifizieren: „Ich war alt und krank, und ihr habt mich besucht. Was ihr für einen meiner geringsten Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,36.40).

Die Schülerinnen und Schüler hatten sich natürlich im Religionsunterricht über diese göttliche Sichtweise unterhalten. Bei ihnen wuchs eine neue Einsicht über das Verhältnis der Generationen untereinander. Übrigens war es nicht ihr letzter Besuch im Seniorenwohnheim. Mittlerweile wird zwischen den Schülern und den Senioren eine Art Partnerschaft gepflegt. Beide Seiten freuen sich darüber und fühlen sich in ihren gegenseitigen Erfahrungen bereichert.

Wir selber könnten uns ein Beispiel daran nehmen und zugleich in unserem Umfeld werben für einen aufgeschlossenen Dialog zwischen den Generationen. Amen.

Pfarrer Wolfgang Guttmann