Liebe Schwestern und Brüder,
„Stell dir vor, jemand brüllt Krieg, und ein anderer bringt einen Fußball mit“ – so lautete ein trefflicher Kommentar zu einer in diesen Tagen stattgefundenen Einweihung eines außergewöhnlichen Denkmals. Der Anlass der Einweihung klingt wie ein Märchen: vor genau hundert Jahren wurde während des Ersten Weltkrieges im Bereich der Schützengräben zwischen deutschen und britischen Soldaten ein Fußballspiel ausgetragen. Möglich wurde dieses sportliche Duell, weil anlässlich des Weihnachtsfestes 1914 eine von allen Seiten verordnete Feuerpause eingehalten wurde. Die sich zuvor als Feinde gegenüberstehenden Soldaten nutzen ihre kriegsfreie Zeit zum gemeinsamen Fußballkick – über alle Fronten hinweg.
Mich bewegt diese Nachricht aus dem belgischen Ploegsteert. Krieg ist weit mehr als eine offizielle Berichterstattung von Sieger- oder Niederlagengeschichten. Krieg hat immer etwas mit persönlichem Schicksal zu tun. Diese für uns anonymen Männer in Uniform waren besetzt mit quälenden Ängsten, gleich auf welcher Seite sie standen und zu kämpfen hatten. Zumindest für einige Stunden versuchten diese klugen und zugleich bemitleidenswerten Soldaten ihre Ängste auszublenden und aus gesichtslosen Feinden anerkennenswerte Gegner werden zu lassen. Im Schlamm zwischen den Frontlinien wurde gekickt und sportliche Fairness gepflegt: „Stell dir vor, jemand brüllt Krieg und ein anderer bringt einen Fußball mit.“
Die sich anschließende Tragik bestand darin, dass nach dem Weihnachtsfest per Befehl weiter aufeinander geschossen wurde. Viele von denen, die zunächst friedlich kickten, starben anschließend durch gegenseitigen Kugelhagel. Ich erinnere mich an ein Zitat eines Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg: „Jeder Krieg würde sofort aufhören, wenn diejenigen, die brüllen: Es ist Krieg!, zugleich in der vordersten Front zu stehen und selber den Kugelhagel auszuhalten hätten.“
Auch wenn viele Christen ganz bewusst nach dem Vorbild Jesu
gewaltlos leben, so hat der Frieden des Weihnachtsfestes auch hundert Jahre später noch längst nicht alle Menschen erreicht. Auch in Europa wird selbst unter Christen noch heute von Front zu Front geschossen. Frieden ist, das wissen wir aus leidvoller Erfahrung, nicht selbstverständlich. Frieden ist immer ein kostbares Geschenk.
Zudem haben wir zu begreifen, dass Friede einem nicht allein als reife Frucht in den Schoss fällt. Die hl. Schrift sagt uns: „Suche den Frieden und jage ihm nach“ (Ps 34,15).
Hätte dieses positive Beispiel auch an anderen Frontabschnitten Schule machen können und hätte man die Männer bei ihrem Fußballspiel belassen, dann wäre ihnen das über sie und deren Familien niedergegangene Leid erspart geblieben. Einfache Menschen wie diese ließen sich zur Konfliktbewältigung allemal mehr einfallen als die blindwütigen Machthaber mit ihrem Befehl zu brutaler Waffengewalt sowie menschenverachtendem Krieg.
Das mit Inschrift versehene steinerne Denkmal, gestaltet mit einem Fußball auf runder Stehle, erinnert an ideenreiche und friedliebende Männer. Von solchen Leuten können wir auch heute nicht genug haben: „Stell dir vor, jemand brüllt Krieg, und ein anderer bringt einen Fußball mit.“
Pfarrer Wolfgang Guttmann