Der verdorrte Feigenbaum

Meine Mutter hat, als ich Kind war, am 04. Dezember von kahlen, verdorrt aussehenden Bäumen und Sträuchern Zweige abgeschnitten, sie sorgsam angeschnitten und in eine Vase gestellt. Ich war auf Winter eingestellt und erwartete Blätter und neues Leben an Sträuchern und Bäumen erst im Frühling im folgenden Jahr.

Sie kennen sicher den Brauch des Barbarazweigs? Für mich war es wirklich kaum verständlich, warum in unserem Fall die Kirschbaum- und Weidenzweige gerade zu Weihnachten aufblühten, traumhafte Farben und damit Leben mitten im Winter ins Wohnzimmer brachten. Für mich war der Zusammenhang mit Weihnachten und dem neugeborenen Heiland offensichtlich. Meine Mutter hat durch ihre Pflege, den Zuschnitt der Zweige und das Aufstellen in der Vase am richtigen Ort ihren Teil zu diesem schönen Zeichen beigetragen.

Etwas Ähnliches enthält eines der Evangelien in diesen Wochen, nur nicht im Zugehen auf Weihnachten, sondern in der Fastenzeit in der Vorbereitung auf Ostern. Es geht um einen verdorrten Feigenbaum, der keine Früchte hervorbringt. Der Eigentümer eines Weinbergs will den Baum deshalb umhauen. Aber der Winzer im Weinberg bittet um Aufschub, er möchte versuchen, durch Aufgraben, Auflockern, Wässern, durch intensive Pflege den Baum dazu zu bringen, dass er Früchte trägt und nicht umgehauen wird. Aber wofür steht nun der Feigenbaum? Der Feigenbaum selbst scheint das Problem zu sein, weil er keine Früchte trägt. Damit er Früchte trägt, muss er umkehren – müssen wir umkehren. Und wenn nicht, ist das Umhauen, die Zerstörung des Feigenbaums die „gerechte“ Strafe Gottes, auch für uns Sünder, oder nicht? Nein, denn in diesen Dimensionen denkt Gott eben nicht. Das Abhauen des Baumes ist – zumindest im ersten Schritt – keine Option. Aber ein „Weiter so“ ist ebenfalls keine Option.

Möglicherweise steht der Feigenbaum für etwas anderes und der Barbarazweig ist der richtige Ansatz. Sicher ist Fastenzeit Buße und Umkehr, aber vielleicht auch ganz einfach Besinnung auf das, was wichtig ist, was fundamental für unser Christsein ist: Glaube – Hoffnung – Liebe.

Fastenzeit heißt nicht nur, weniger essen und trinken, sondern grundsätzlich weniger für sich selbst fordern und verbrauchen. Aber auch, sich zu hinterfragen, sein Verhalten, Denken und seine Sprache zu überprüfen. Der ganze Mensch soll frei werden und sich selbst wiederfinden; er soll das einüben und verwirklichen, was wir durch die Taufe geworden sind: ein neuer Mensch, in dem Christus sichtbar wird. Das Gesetz Christi heißt: nicht fordern, sondern schenken, anderen helfen, wieder Früchte zu tragen, die Hoffnung und den Glauben nicht verlieren, dass unsere Mühen sich letztlich auszahlen.

Der Gärtner im Evangelium will den Baum hegen und pflegen, das Erdreich aufgraben und düngen. So wird dieses Gleichnis vom Feigenbaum zum Beispiel für den Umgang miteinander in Familie, Kirche und Gesellschaft. Wir können die Fastenzeit nutzen, uns darauf zu besinnen, Not zu sehen und zu handeln, Geduld miteinander zu haben, einander Chancen einzuräumen und Zeit zu geben, unser Handeln und unser Sprechen zu hinterfragen, solidarisch füreinander zu handeln, Verhärtungen aufzulockern sowie Wahrhaftigkeit zu pflegen und zu kultivieren. Hierzu passt das Wort des Würzburger Bischofs Franz Jung, der an die Gläubigen appelliert, Zeichen des Neuaufbruchs zu setzen. Er sagt: „Werden wir dort aktiv, wo keiner hilft. Schauen wir nach denen, um die sich keiner kümmert. Lassen wir uns nicht einreden, dass es sinnlos sei, etwas verändern zu wollen.“

Es bleibt das offene Ende des Gleichnisses, das uns in einen Raum der Hoffnung entlässt. Vielleicht trägt der Baum doch noch Früchte. Wir können Erfolge und positive Ergebnisse nicht erzwingen, aber wir können Umstände und Bedingungen ändern. Aus manchem dürren Zweig ist schon Wunderbares gewachsen, so wie beim Barbarazweig.    

Jürgen Kuper