Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären damals dabei gewesen bei den Anhängern Jesu, als er durch Galiläa zog und eine neue, aufregende Lehre verbreitete. Sie hätten von ihm gehört, dass die Menschen ihm nachliefen, Sie hätten sich selbst überzeugen wollen, was das für einer sei, der so viel Faszination ausübe, und Sie wären seiner Überzeugungskraft und seinen Argumenten erlegen und wären ihm nachgefolgt. Sie hätten wie so viele andere geglaubt, dass dies nun der seit langem verheißene Messias sei, der das Reich Gottes in Israel wieder aufrichten und die lästige Herrschaft der Römer endgültig ablösen werde.
Ich bin sicher, dass Sie – genau wie ich das von mir selbst annehme – wie Jesu Zuhörer damals von einer Aufbruchsstimmung erfasst worden wären, von einer Begeisterung, einer Tatkraft, einer Bereitschaft, sich auf das einzulassen, das die Erfüllung dessen war, was von den Propheten vorausgesagt worden war, womit man also jederzeit rechnete. Und außerdem: zum auserwählten Volk zu gehören, in einem souveränen Staat, um es modern auszudrücken, unter der Gottesherrschaft des Messias, das hatte schon etwas Verführerisches, hätte einem dieser Gedanke nicht sogar geschmeichelt, wäre man nicht sogar stolz gewesen, zu seiner Gefolgschaft zu gehören?
In den letzten Wochen seit der Karwoche und Ostern haben wir anhand der Berichte aus der Schrift gehört und miterlebt, wie diese Hoffnung der Menschen sich in Luft aufgelöst hat, als Jesus verraten und zum Tod am Kreuz verurteilt worden war, als er als selbsternannter König der Juden auch noch verspottet wurde. Die Ernüchterung muss groß gewesen sein: es war also nichts mit dem Messias und seinen göttlichen Kräften. Die große Schar seiner Anhänger gab vermutlich – total enttäuscht – auf und kehrte zu ihrem bisherigen Leben zurück.
Und doch: eine kleinere Gruppe Unentwegter blieb übrig, vielleicht nur, um sich gegenseitig zu trösten oder weil sie noch nicht recht wussten, wie es mit ihrem Leben nun weitergehen sollte. War denn alles nur falsch gewesen, was sie an Jesus so faszinierend gefunden hatten, war denn seine ganze neue Interpretation der göttlichen Schriften so auf Sand gebaut, waren denn die Wunder, die er gewirkt hatte, nur Luftnummern und geschickte Täuschungen gewesen, war denn die Liebe Gottes nur ein frommes Hirngespinst?
Sie saßen zusammen nach dem Tode und dem Begräbnis Jesu, so wird uns berichtet, der kleine Rest seiner Vertrauten, traurig und verzweifelt. Und da geschieht etwas, das ihre Welt und später auch die ganze übrige Welt bis in alle Zeiten hinein aus den Angeln hebt:
Erst die Frauen, dann einzelne Jünger, schließlich viele der Übriggebliebenen sehen den auferstandenen Jesus, sprechen mit ihm, berühren ihn, essen mit ihm. Es dauert, bis sie das begreifen, bis sie nicht mehr an ihrem Verstand zweifeln, sondern das Wunder, die Allmacht und die Liebe Gottes akzeptieren können.
Ich habe mich schon oft gefragt, wie ich an ihrer Stelle reagiert hätte. Wie geht es Ihnen?
Ich selbst komme zum Ergebnis, dass ich gegen alle vordergründige Vernunft glauben kann, was uns berichtet wird:
Das Leben erweist sich als stärker als der Tod, Gott ist stärker als der Tod, Gottes Liebe ist stärker als alle Widrigkeiten des Lebens. Jesus ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden.
Was mich neben der Auferstehung Jesu beschäftigt, ist das weitere Wunder, das geschieht. Ich meine die Verwandlung der Jünger Jesu, seiner Gefolgsleute, die sich im kleinen Häuflein aneinander festgehalten hatten und sich quasi verborgen hielten, um bloß nicht aufzufallen und noch mit zur Rechenschaft gezogen zu werden, dass sie auf einen solchen Aufrührer hereingefallen waren.
Denken Sie an die Jünger am Ölberg, die sich, bis auf Petrus, der sich dem Malchus entgegenstellte, vornehm zurück hielten, als Jesus gefangen genommen wurde. Denken Sie an Judas, der ihn verriet, weil er Jesu Botschaft für irreal hielt. Denken Sie an Petrus im Hof des Hohenpriesters, der ihn vor der Kreuzigung dreimal verleugnete.
Diese eingeschüchterten und verzagten Jünger bekommen auf einmal Auftrieb, nachdem sie an die Auferstehung Jesu glauben konnten. Mit der Gabe des Heiligen Geistes trauen sie sich wieder unters Volk, sie reden von Jesus, sie verkünden mutig und überzeugend seine Botschaft. Sie predigen von der Liebe Gottes und der Liebe zu den Mitmenschen. Sie sind erfüllt von der Begeisterung, seine Botschaft zu verkünden. Sie sind glaubhaft, authentisch, würde man heute sagen. Und sie finden offene Ohren, die Zahl der Anhänger Jesu wächst, getragen eben von dieser Begeisterung.
Wir leben heute in einer Zeit, in der wir uns fast wie die Jünger damals nach der Kreuzigung Jesu furchtsam zusammendrängen und möglichst wenig darüber reden, dass wir Christen sind. Wir haben zwar keinen Prozess und keine offenen Nachteile zu befürchten, aber nicht wenige fürchten die mitleidigen Blicke und das Unverständnis der „aufgeklärten, vernünftigen“ Leute, die denjenigen gelten, die immer noch glauben.
Wir schämen uns für Mitchristen, die anderen Leid zufügen oder zugefügt haben. Wir haben Angst, vielleicht in einen Topf geworfen zu werden mit Christen, die hartherzig sind oder ihre Macht missbrauchen, auch oder gerade im Namen der Religion. Wir scheuen uns, für dumm oder zurückgeblieben gehalten zu werden, weil die Erkenntnisse der Naturwissenschaften so manche Bibelstelle widerlegen. Wir rebellieren auch gelegentlich gegen Vorschriften der Kirche, deren Sinn wir nicht nachvollziehen können, ja sogar, die uns nicht christlich im Sinne Jesu vorkommen.
Und ähnlich ist es mit unserem praktischen Verhalten. Sind wir noch glaubhafte Verkünder der Frohen Botschaft Jesu? Geht von uns Überzeugung und Begeisterung aus? Sind wir stolz darauf, zur Kirche Jesu Christi zu gehören, weil wir das Geschenk des Glaubens erhalten haben?
Es mag viele Gründe dafür geben, dass seit Jahren und besonders in diesem Jahr viele Menschen die Gemeinschaft der Christen verlassen, auch Gründe, an denen wir keinen Anteil haben. Aber denken wir mal an die Menschen aus unserem direkten Umfeld, aus der Familie, der Nachbarschaft, dem Freundeskreis, der Kirchengemeinde, die nichts mehr mit der Kirche und der Gemeinschaft der Glaubenden zu tun haben wollen, denen die Frohe Botschaft nichts mehr sagt.
Haben wir bei denen und anderen versäumt, von der Liebe Gottes zu erzählen? Waren wir unglaubwürdig in unserem Verhalten als Christen? Sind oder waren wir einfach zu furchtsam oder auch zu bequem, uns für unsere Überzeugung einzusetzen? Spielt Gott überhaupt eine Rolle in unserem Alltag, sind wir gar selbst auf dem Absprung?
Ich denke an die Jünger damals, die ratlos und verunsichert beisammen saßen und wie gelähmt nicht wussten, wie es weitergehen solle.
Es kann doch nicht wahr sein, dass uns das auch so geht. Wir hören doch die Frohe Botschaft, wir feiern doch Jesu Tod und Auferstehung, wir können uns doch darauf verlassen, dass der Heilige Geist auch bei uns wirkt, uns mutig und aktiv macht, wenn wir es denn zulassen.
Bald ist Pfingsten, der krönende Abschluss der Osterzeit. Spätestens dann sollten wir Gottes Geist Raum geben, uns zu verwandeln wie beim Pfingstwunder der Jünger Jesu, und wieder mutige Zeugen Christi zu werden.
Sabine Heckmann