Liebe Schwestern und Brüder,
bis zum ersten Sa./So. im Monat September werden an dieser Stelle Lieder widergegeben, die in unserem römisch-katholischen Gebet- und Gesangbuch abgedruckt sind, aber aus evangelisch-lutherischer Tradition stammen.
Im kommenden Jahr begeht die ev.-luth. Kirche ihr fünfhundertjähriges Bestehen. Der Überlieferung nach brachte der Augustinermönch Martin Luther an der Außentür der Schlosskirche zu Wittenberg am Abend vor dem 31. Oktober 1517 eine Liste von 95 Thesen an. Dieser Thesenanschlag unmittelbar vor dem Hochfest Allerheiligen wird allgemein als Beginn der lutherischen Reformation betrachtet.
Seitdem gab es eine Menge an Auseinandersetzungen. Es gab aber auch viele Bemühungen, untereinander nicht das Trennende sondern das Gemeinsame des christlichen Glaubens hervorzuheben. Nur wenige wissen, dass Lieder aus katholischer Tradition im evangelischen Gesangbuch enthalten sind. Umgekehrt finden wir viele Lieder, die zum selbstverständlichen evangelischer Tradition gehören, im katholischen Gebets- und Gesangbuch, Gotteslob (GL), wieder. Ökumene vollzieht sich auch auf dieser Ebene. Es gibt den biblischen Geist des Epheserbriefes wieder: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (4,5).
Zu jenen Gesängen gehört das Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (GL 357). Niedergeschrieben und mit eigener Melodie versehen wurde es von Philipp Nicolai. Der Sohn eines zur lutherischen Lehre übergetretenen kath. Pfarrers wurde 1546 im nordhessischen Mengeringhausen (heute Stadtteil der Kleinstadt Bad Arolsen im Landkreis Waldeck-Frankenberg) geboren. Nach dem Tod Martin Luthers (*1483-+1546) galt es, das theologisch-geistliche Erbe des Reformators fortzusetzen. Philipp Nicolai ging mit eifernder Strenge heran, um die Sache der Lutheraner gegenüber den Katholiken zu verteidigen. In Köln wirkte er eine Zeit lang in einer protestantischen Untergrundgemeinde, wurde von spanischen Söldnern vertrieben, wurde dann Pfarrer in Unna und schließlich ab 1601 bis zu seinem Tod 1608 Hauptpastor an St. Katharinen in Hamburg.
Von seinen vielen theologischen und geistlichen Werken überdauerten nur zwei Lieder die Zeit: „Wachet auf, ruft und die Stimme“ und „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. In diesen Liedern erkennt man nicht den erbitterten Streiter, der Philipp Nicolai eigentlich war. Es müssen Sternstunden des Glaubens gewesen sein, als er diese Lieder niederschrieb. Es gab zu jener Zeit nämlich eine weitere Front, an der noch intensiver der biblisch-christliche Glaube angefragt war: der Schrecken vor der Pest. Im Angesicht der allgemeinen Bedrohung durch den Schwarzen Tod schrieb der eifrige Verfechter des Luthertums in trostloser Zeit ein vielbeachtetes Trostbüchlein. Mit Übernahme biblischer Bilder richtet Philipp Nicolai den menschlichen Sinn vom Diesseits auf das Jenseits.
Mit dem “Morgenstern” ist natürlich keine astronomische Erscheinung gemeint. Vielmehr ist diese Erscheinung am Horizont des Lebens niemand anders als Jesus Christus selbst. Als ein Mann des Glaubens entwirft Philipp Nicolai, orientiert an den Worten der Bibel, eine wunderbare Bildsprache, indem er die Kirche als Gemeinschaft der gläubigen Menschen mit der lichtvollen Erscheinung des Bräutigams Jesus Christus mystisch verbunden sieht. Am Ende aller leidvollen Tage wird er einmal wiederkommen und die Tränen aus unseren Augen wischen wird (vgl. Offb 22,4).
Während Ende des 16. Jh. die Totengräber Tag und Nacht zu tun hatten, weil durch die Pestepidemie unzählige Nahestehende weggerafft werden, stimmt Philipp Nicolai ein Lied der Hoffnung an, ein Lied zum Freudenfest des ewigen Lebens. Dieses Fest versteht er als ein Liebes- und Hochzeitsfest, wo der Festsaal mit Blumen geschmückt ist, es süße Speisen gibt, viele Kostbarkeiten und natürlich Musik. Kann die Sehnsucht nach göttlichem Geborgensein intensiver zum Ausdruck gebracht werden als mit den Worten der vierten Strophe: “Nimm mich freundlich in dein Arme und erbarme dich in Gnaden. Auf dein Wort komm ich geladen”?
Das nachstehend vollständig wiedergegebene Lied mit seinen sieben Strophen empfehle ich Ihnen nun zur persönlichen Lektüre sowie Betrachtung. Vielleicht reichern Sie die Meditation mit der Überlegung an, mit welchen Bildern christlichen Glaubens Sie den heutigen vielseitigen Ängsten begegnen? Welches Lied der Hoffnung stimmen Sie an?
1. Wie schön leuchtet der Morgenstern
voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
uns herrlich aufgegangen.
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam,
du hältst mein Herz gefangen.
Lieblich, freundlich, schön und prächtig,
groß und mächtig, reich an Gaben,
hoch und wunderbar erhaben.
2. Du meine Perl, du werte Kron,
wahr‛ Gottes und Marien Sohn,
ein König hochgeboren!
Mein Kleinod du, mein Preis und Ruhm
dein ewig Evangelium,
das hab ich mir erkoren.
Herr, dich such ich. Hosianna.
Himmlisch Manna, das wir essen,
deiner kann ich nicht vergessen.
3. Gieß sehr tief in mein Herz hinein,
du leuchtend Kleinod, edler Stein,
die Flamme deiner Liebe
und gib, dass ich an deinem Leib,
dem auserwählten Weinstock bleib
ein Zweig in frischem Triebe.
Nach dir steht mir mein Gemüte,
ewge Güte, bis es findet
dich, des Liebe mich entzündet.
4. Von Gott kommt mir ein Freudenschein,
wenn du mich mit den Augen dein
gar freundlich tust anblicken.
Herr Jesu, du mein trautes Gut,
dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut
mich innerlich erquicken.
Nimm mich freundlich
in dein Arme und erbarme dich in Gnaden.
Auf dein Wort komm ich geladen.
5. Herr Gott Vater, mein starker Held,
du hast mich ewig vor der Welt
in deinem Sohn geliebet.
Er hat sich ganz mir angetraut,
er ist nun mein, ich seine Braut;
drum mich auch nichts betrübet.
Eia, eia, himmlisch Leben
wird er geben mir dort oben.
Ewig soll mein Herz ihn loben.
6. Zwingt die Saiten in Kitara
und lasst die süße Musica
ganz freudenreich erschallen,
dass ich möge mit Jesus Christ,
der meines Herzens Bräutgam ist,
in steter Liebe wallen.
Singet, springet, jubilieret, triumphieret,
dankt dem Herren.
Groß ist der König der Ehren.
7. Wie bin ich doch so herzlich froh,
dass mein Schatz ist das A und O,
der Anfang und das Ende.
Er wird mich doch zu seinem Preis
aufnehmen in das Paradeis;
des schlag ich in die Hände.
Amen, Amen, komm, du schöne Freudenkrone,
säum nicht lange.
Deiner wart ich mit Verlangen.
Pfarrer Wolfgang Guttmann