Glaube und Vertrauen

vertrauenDas heutige Evangelium ist etwas für die ältere Generation, die nach dem 2. Weltkrieg die Besatzungszeit der Siegermächte miterlebt hat. Aber auch für Menschen in den heutigen Kriegsgebieten, die unter fremden Besatzungsmächten zurechtkommen müssen. Hätte damals einer von ihnen damit gerechnet, dass ein Offizier der Besatzungsmacht auf sie zugekommen wäre mit der Bitte um Hilfe?
Eine ähnliche Szene wird im heutigen Evangelium mit dem Hauptmann aus Kafarnaum erzählt.

Der Hauptmann war römischer Soldat. Jesus und alle ihm nachfolgenden waren Juden. Die Römer waren Besatzer, die deshalb nicht besonders gerne gesehen waren. Römer waren zudem auch Heiden für die Juden, das heißt, man hatte mit ihnen möglichst keinen Umgang. Schon gar nicht betrat man das Haus eines solchen Menschen, das machte unrein.

Nun kommt dieser heidnische Römer sogar durch Vermittlung von Juden auf Jesus zu. Was für eine Begegnung. Wir spüren, welche Brisanz darin liegt: Jesus wird doch wohl nicht zu so einem gehen und mit ihm reden! Und doch, Jesus ist vollkommen unvoreingenommen, hört zu und tut etwas, das dem ganzen Gespräch noch eine besondere Bedeutung verleiht: Ich will zu dir kommen, in dein Haus und ihn gesund machen. Das erste Wunder dieser Evangeliumsstelle besteht also schon im Umgang mit dem Hauptmann.

Stellen Sie sich vor, ein vollkommen fremder Mensch, der auch noch zu einer Gruppe gehört, der Sie eher feindlich gegenüber stehen, kommt auf Sie zu und will etwas von Ihnen. Das erste, was wir erleben ist doch Abwehr, Ablehnung und der Gedanke: Wie werde ich den wieder los? Nein, ich will mit so einem nichts zu tun haben.

Wie aber stellte sich Jesus dieser Situation? Er sieht in dem heidnischen, römischen Soldaten einfach einen Menschen, der voller Vertrauen auf ihn jetzt und hier seine Zuwendung braucht. Gedanken über mögliche Beziehungen zu fremden Menschen tauchen überhaupt nicht auf. Einfach nur der Satz: Ich will kommen und ihn gesund machen.

Ich denke, dies stellt ein „wunderbares“ Beispiel für den Umgang mit Menschen dar, das für uns gerade heute wieder im Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland von Bedeutung sein kann.

Im Umgang miteinander geht es nicht um Sympathie und Antipathie, sondern darum, dass wir einander als Menschen wahrnehmen, die vor Gott als gleiche angesehen werden. Unsere Unterschiede, die wir immer wieder machen und die unser Handeln bestimmen, sie sollten keine Bedeutung haben, wenn da jemand vor uns steht, der um Hilfe bittet.

Zugegeben, das ist nicht immer leicht. Aber es lohnt sich, weil es nämlich Grenzen überwindet, Mauern einreißt und menschliches Leben im Sinne eines Miteinander und Füreinander überhaupt erst ermöglicht. Allein diese ersten drei Verse aus der Geschichte geben uns schon genug mit für unser Leben.

Hören wir, was hier noch erzählt wird:
Der Hauptmann ist jemand, der auf der einen Seite voll und ganz in den Befehlsstrukturen des Militärs lebt und denkt. Befehl und Gehorsam stehen da an erster Stelle. Das wird auch sein Knecht erlebt haben: „…und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s.“ Gleichzeitig aber ist der Hauptmann auch ein sehr fürsorglicher Mann. Es treibt ihn um, dass sein Diener krank ist. Und als er merkt, dass seine eigene Hilfe nicht ausreicht, sucht er nach externer Hilfe. Und das nicht nur in seinem eigenen Bereich, nein, er geht über die Ältesten der Juden sogar auf Jesus selbst zu, diesen jüdischen Rabbi, von dem er einiges gehört hatte; das ihm Mut machte, ihn um Hilfe bitten zu können. Das Gehörte schon ließ ihn volles Vertrauen zu diesem fremden Jesus fassen. Dieses Vertrauen lässt keinen Raum für Schein und Zweifel und auch an ihm vollzieht sich ein Wunder: Er glaubt. Er glaubt so unmittelbar, dass auch Jesus erstaunt ist: “Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.“

Vertrauen schreckt nicht vor Grenzen und Mauern zurück, sondern verleiht die Kraft und den Mut, hinüber zu springen.

Auf unsere heutigen Verhältnisse übertragen bedeutet dies: Ein Vorgesetzter setzt sich persönlich und fürsorglich für das Wohl und die Gesundheit eines einfachen Mitarbeiters ein. Dieser Mitarbeiter wird nicht „eben schnell freigesetzt“, weil er im Produktionsprozess keine volle Leistung mehr erbringen kann, sondern der Chef kümmert sich selbst um diesen einen, „kleinen“ Mitarbeiter. Und das, obwohl die Aussicht auf eine Genesung oder gar Heilung nach menschlichem Ermessen nicht gegeben ist. Welcher Vorgesetzte heute würde so handeln wie der Hauptmann? Oder noch konkreter: Wie würde ich mich persönlich in einer vergleichbaren Situation verhalten? Nähme ich mir tatsächlich die Zeit, um mich für einen meiner Mitarbeiter so zu engagieren? Oder ließe es mein voller Terminplan nicht zu, zumal doch der Mitarbeiter schließlich selbst für sein Leben verantwortlich ist?
Darum kann Jesus auch den Hauptmann als leuchtendes Beispiel für den Glauben hinstellen. „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!“ Hier geht es nicht darum, ob und wie oft jemand den Gottesdienst besucht. Glaube äußert sich in dieser Begegnung mit Jesus als ein wirkliches Vertrauen. Glaube, das ist das lebendige Vertrauen zu dem Gottvater, der seinen Sohn zu den Menschen sandte, als Zeichen seiner Zuwendung und Liebe.

Der Hauptmann vertraut Jesus in einer ganz erstaunlichen Weise. Allein auf die Worte Jesu hin wird sich das Leben seines Dieners grundlegend ändern, davon ist er überzeugt: “Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“
Es geht nicht um blindes Vertrauen, sondern um sehendes, also gerechtfertigtes, begründetes Vertrauen, weil Gottes Spuren überall anzutreffen sind.
Wer aber so vertrauend sprechen kann und in Jesus gleichsam den Anker seines Vertrauens erblickt, der kann auch Ja sagen zu allen Lebenssituationen, weil er überall Gott gegenwärtig weiß, auch wenn er nicht weiß, wie Gott ihn führen wird.
Wir können Jesus, Gott, vertrauen, weil er uns vertraut, sein Vertrauen, seine Liebe alle Tage neu anbietet. Darum dürfen wir als Eltern, als Ehepartner, als Mitarbeiter, als Vorgesetzter Vertrauen begründen und darauf das menschliche Miteinander aufbauen. Gesegnet ist der, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. Glaube ist demnach Vertrauen, und Vertrauen ist eine Grundstruktur unseres Lebens; von Kindesbeinen an: Wenn Kinder ihren Eltern, und Eltern wiederum ihren Kindern vertrauen und sich aufeinander verlassen können, dann können auch schwierige Phasen überstanden werden. Dies gilt genauso später in der Partnerschaft und der Ehe. Ohne Vertrauen und Verlässlichkeit ist dieser „Bund des Lebens“ nicht reißfest.

Wenn ich mich mit Unternehmern und Managern über das Thema Vertrauen unterhalte, dann wird oft mit dem Lenin zugeschriebenen Motto erwidert: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Dies ist meines Erachtens eine zynische Interpretation einer Vertrauenskultur, denn sie führt in das genaue Gegenteil, nämlich in eine tiefe Misstrauenskultur. Misstrauen ist eine der gefährlichsten „Krebsgeschwüre“, und leider besonders häufig in Großorganisationen anzutreffen – übrigens auch und gerade in öffentlichen Einrichtungen wie Hochschulen, Krankenhäusern und Behörden.

Vertrauen bedeutet im Umkehrschluss Lebensqualität, und je mehr ich in meinem persönlichen und beruflichen Umfeld Menschen vertrauen kann, umso höher ist meine Lebensqualität. Dabei setzt echtes, gelingendes Vertrauen zwei Aspekte voraus: Es muss auf Gegenseitigkeit beruhen, und es erfordert ein gewisses Maß an Mut, anderen Menschen Vertrauen zu schenken. Ein offenes Gespräch führen, sich die Meinung sagen können, Schwächen zugeben, Fehler einräumen, gemeinsam Pläne schmieden, gemeinsam Gegenwart und Zukunft gestalten, oder einfach nur lachen und weinen, also Gefühle zeigen: All das wird möglich dadurch, dass es Gott sei Dank Leute gibt, denen man vertrauen kann, und die sich trauen, in Vorleistung zu gehen, indem sie den ersten Schritt gehen, und dem Gegenüber vertrauen.

Der Hauptmann in unserer Bibelstelle geht in Vorleistung, er beweist diesen Mut: Gegen das Augenscheinliche und Unabänderliche alles Vertrauen, alle Hoffnung auf die Macht der Liebe, auf die heilmachende Nähe Gottes zu setzen. Jesus jedenfalls nennt das Verhalten des Hauptmanns ‚Glauben’ und meint eben mehr als etwas Für-wahr-halten, was man nicht wissen kann und deshalb glauben muss. Glaube ist eben vor allem das bedingungslose Vertrauen in die Liebe und Nähe Gottes, in der auch unser Leben heil werden kann.

Für mich ist es „wunder-bar“, wie viel uns solch eine alte, kleine „wunder-volle“ Bibelstelle zu sagen hat: Wie der Hauptmann ohne Wenn und Aber alles auf die Karte der Liebe Gottes und seine heilende Nähe zu setzen und sich und sein Leben getragen zu wissen. Und das man sich nicht nur um sein eigenes Wohl zu kümmern hat, sondern auch für andere, gerade für uns anvertraute – seien es die eigenen Kinder, der Partner, Verwandte, aber auch für Flüchtlinge in unserem Land. Man muss es nur wollen, sich trauen und dann auch immer wieder tun.

So können wir mit dem Psalm 23 singen:
„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ (Ps 23,4).

Amen.

Christoph Balbach