Liebe Schwestern und Brüder,
das Motto des Hilfswerk MISEREOR berührt in diesem Jahr besonders. Das lateinische Wort MISEREOR bedeutet übersetzt: „Ich erbarme mich“ (Mk 8,2). Es bezieht sich auf Worte Jesu in Galiläa, nachdem am See von Genezareth der Sohn Gottes Tausende von Hungernden speiste.
Indem Papst Franziskus ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausruft, klingt das Wort Erbarmen ganz anders. Es ist wie die Erinnerung an etwas, was man eigentlich längst schon immer wusste, aber Gefahr lief, mehr und mehr gedanklich auszublenden.
Walter Kardinal Kasper bedauert in seinem Buch „Barmherzigkeit“, dass dieses für die Bibel zentrale und für die gegenwärtige Wirklichkeitserfahrung aktuelle Thema in den Lexika und in den Handbüchern der dogmatischen Theologie bestenfalls am Rande vorkommt. Ganz zu schweigen von den weltlichen Schriften. Wir hätten uns alle zu fragen, inwieweit für uns Christen das Ideal der Barmherzigkeit maßgeblich ist für unser Denken und Tun?
Während ich diese Zeilen schreibe, sterben eine Reihe von syrischen Kindern vor Auszehrung und Hunger. Hilfsorganisationen ziehen nach fünf Jahren Bürgerkrieg eine bittere Bilanz. Die Situation der syrischen Bevölkerung, vor allem der Kinder, hat sich in den letzten Wochen und Monaten noch einmal dramatisch verschlechtert.
In Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze sitzen zu Tausenden die Geflüchteten fest. Ein Ort wie dieser zeigt, mit welch rabiaten Methoden sich Europa gegen Arme und Schutzsuchende abschottet.
Und bei uns? Ein dunkelhäutiger Pfarrer gibt seine Seelsorge im Bayerischen Zorneding auf, nachdem der katholische Seelsorger rassistisch motivierte Morddrohungen erhielt. Eine mit mehr als dreitausend Personen durchgeführte Solidaritätskundgebung für den aus dem Kongo stammenden Priester konnte am Weggang des Geistlichen nichts ändern. Was diesen Priester besonders schmerzte war seine Beobachtung, dass die ihn kränkenden Verunglimpfungen von Christen ausgingen.
MISEREOR – Ich erbarme mich. Im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit will das Wort Erbarmen ganz neu bei den Menschen ankommen. Es soll in den Herzen derer, die schon gar nicht mehr wissen, was Christsein bedeutet, einen neuen Klang erhalten. In einer Ansprache sagte Papst Franziskus: „Barmherzigkeit ist das Beste, was wir hören können: es ändert die Welt! Ein wenig Barmherzigkeit macht die Welt weniger kalt, viel gerechter und liebenswürdiger. Wir haben es notwendig, die Barmherzigkeit Gottes neu zu verstehen.“
MISEREOR – Ich erbarme mich. Wenn Gott sich in Jesus der Menschen erbarmt, wie ahmen es Christen nach in Zorneding, in Idomeni und in anderen Teilen der Welt? – Erbarmen will gelebt sein – auch durch uns!
Pfarrer Wolfgang Guttmann