Die Bildsprache des christlichen Glaubens

Liebe Schwestern und Brüder,

jenen Menschen gilt meine Bewunderung, die Malen können. Nicht allein in Museen und Kunstausstellungen bestaune ich ihre Werke. Auch bei einfachen Zeichnungen bin ich fasziniert, wie jemand durch gezielte Pinselstriche ganz bestimmte Ereignisse trefflich darzustellen vermag. Wir sind irgendwie auch Augenmenschen. Visuelle Darstellungen bleiben oft nachhaltiger in Erinnerung als Geschriebenes oder Gehörtes. So ist die Vermittlung biblischer Wahrheiten ohne die geistliche Kraft darstellender Kunst nicht vorstellbar.

Nach den weihnachtlichen Feierlichkeiten beginnt im zeitlichen Ablauf für die Kirche nun die ‚Zeit im Kirchenjahr‘. Diese steht ganz unter den Vorzeichen des Evangelisten Lukas. An diesem 3. Sonntag im Jahreskreis hören wir den Anfang des jenes Evangeliums, dessen Autorenschaft der Person Lukas zugeschrieben wird: „Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über all das abzufassen, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat. Nun habe auch ich mich entschlossen, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen, um es … der Reihe nach aufzuschreiben“ (Lk 1,1.3).

Den Evangelisten Matthäus, Markus, Johannes und natürlich Lukas können wir gar nicht genug danken, dass sie der Nachwelt mit ihren Schriften eindrucksvoll hinterlassen haben, was sich mit Jesus vor zweitausend Jahren ereignet und erfüllt hat. Ohne die Evangelisten mit ihrem biblischen Nachlass hätten wir, wenn überhaupt, so gut wie keine Vorstellungen, wer dieser Jesus von Nazareth ist und was er bis in die Gegenwart hinein auch für uns bedeutet.

Bibelforscher machen sich noch heute Gedanken, was jeder der vier Evangelisten als Eigengut einbringt, was von anderen übernommen und ins eigene Werk eingefügt wird, und wie überhaupt die vier Evangelien literarisch in Beziehung zueinander stehen.

Bei Lukas kommt noch eine feine Besonderheit hinzu, die, etwas für Augenmenschen, auf einem Altar in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi zu sehen ist. Im südlichen Seitenschiff steht der sehenswerte Lukasaltar. Er gehört noch heute der Hamburger Malerzunft und wurde um das Jahr 1500 fertiggestellt. Er stand zunächst im Hamburger Mariendom, der Anfang des 19. Jh. abgetragen wurde. Mit der Übernahme in die benachbarte Kirche St. Jacobi wurde dieser kostbare Altar, ein anspruchsvolles Werk wertvoller Schnitz- und Malerarbeiten, gerettet.

In der Mitte des aufklappbaren Altarbildes sitzt Lukas vor einer Stellage mit einem Malerpinsel und portraitiert die Gottesmutter Maria, die ihr neugeborenes Kind liebevoll in ihren Armen hält. Diese ungewöhnliche Darstellung ist deswegen erstaunlich, da der Überlieferung nach Lukas von Beruf nicht Maler sondern Arzt war. Jedoch dachte sich die christliche Tradition was dabei. Denn von den vier Evangelisten ist Lukas derjenige, der in seinem Werk die Merkmale Marias ausdrücklich darstellt. Er schildert ihre Wachsamkeit hinsichtlich des Hörens auf Gottes Wort, detailfreudig vermittelt er die damit einhergehenden Kindheitsgeschichten Jesu. Es ist so, als wenn der Schriftsteller Lukas tatsächlich den Malerpinsel nähme, um die Lebenswirklichkeiten der Heiligen Familie zu portraitieren.

So ist im Evangelium des Lukas nicht allein die in den letzten Wochen oft gehörte Weihnachtsgeschichte (2,1-20) nachzulesen. Im Lukasevangelium entdecken wir ebenso die Verheißung der Geburt Jesu (1,26-38), indem der Engel zu Maria kommt und ihr sagt: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben“ (1,31). Bei Lukas finden wir ebenso das Magnificat (1,46-56), den Lobpreis Marias, den sie anstimmt, als sie die ebenfalls schwangere Elisabeth aufsucht (1,39-45). Bei den anderen Evangelisten sind diese Szenen so nicht auszumachen. Da Lukas mit seiner Erzählung so einfühlsam und liebevoll das frühe Leben Jesu zusammen seiner Mutter Maria darstellt, gab die christliche Tradition dem Evangelisten Lukas den sympathischen Beinamen: der „Marienmaler“.

Verständlicherweise zeigt Lukas, der aus der damaligen Weltstadt Antiochien stammt, als Arzt eine besondere Vorliebe an den Heilungswundern Jesu. Für Lukas ist Jesus, der Sohn Gottes, der Arzt schlechthin – der göttliche Arzt.

Lassen wir unser geistliches Leben wieder neu mit den Schilderungen aus dem Lukasevangelium bereichern. In der Darstellung des Göttlichen hat Lukas seinen Stil gefunden. Schon über Jahrtausende hinweg bringt er zusammen mit den anderen Evangelisten seine Frohe Botschaft den Menschen nahe. Viele Schöpfer darstellender Kunst haben die Evangelisten dabei unterstützt. Welche Sprache bzw. Bilder wählen wir, um das Heilshandeln Gottes an Menschen unserer Zeit weiterzugeben?

Pfarrer Wolfgang Guttmann