Liebe Schwestern und Brüder,
mitten im Sommer ein österliches Fest. Denn „Mariä Himmelfahrt“, wie das Fest jährlich am 15. August traditionell genannt wird, ist nur zu verstehen im Zusammenhang mit Ostern. Es ein Fest auch unserer eigenen Zukunft, denn bei der Aufnahme Marias in den Himmel handelt sich nicht um ein Privileg der Gottesmutter. Auch unser Leben wartet darauf, einmal leibhaftig bei Gott in der Ewigkeit des Himmels sein zu dürfen.
Aufgrund der Auferstehung Jesu ist für uns Christen ein Leben nach dem Tod selbstverständlich. Dieses Leben nach dem Tod schließt eine neue Leibhaftigkeit ein. Denn auch die Auferstehung Jesu erfolgte leibhaftig. Die vielen leibhaftigen Begegnungen Jesu als Auferstandener mit den Aposteln (Joh 20,24-29; Joh 21,1-14), mit Maria von Magdala (Joh 20,11-18), den Emmausjüngern (Lk 24,13-35) sowie vielen anderen (Apg 9,1-22; 1. Kor 15,6) geben Zeugnis davon.
Im Vergleich mit anderen Religionen der Welt treffen Christen mit der „Leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel“ sicherlich eine mutige Aussage. Die meisten von ihnen sprechen zwar auch viel von einem Weiterleben nach dem Tod. Aber leiblich? Viele Religionen sprechen von Seelenwanderung, von Reinkarnation, von Wiederverkörperung. Bei solchen Jenseitsvorstellungen ist, wie es begrifflich angedeutet wird, Seele und Körper austauschbar. Diese Sichtweise kennt das Christentum nicht. Der Leib gehört zur unverwechselbaren Identität des Menschseins dazu, auch nach dem Tod.
Der Apostel Paulus entwickelt dabei so etwas wie eine Theologie des Leibes. Für den Völkerapostel ist der Leib mehr als ein Körper, bei dem es mehr auf die Organe und Funktionen ankommt. Für Paulus ist der Leib etwas Verehrenswertes. Daher wäre für ihn eine Leibverachtung genauso schlimm wie eine Leibvergötzung. Alles Leibliche berührt den Kern des Menschseins. „In der Vorstellung des Christentums hat der Mensch nicht nur einen Leib, sondern der Mensch ist Leib“, wie der große Theologe Karl Rahner (1904-84) sagt.
Nun gibt es nicht nur ein Leben nach dem Tod, sondern auch vor dem Tod. Bezeichnenderweise ließ daher Carl Gustav Jung (1875-1961) nach der Bekanntgabe des Dogmas von der „Leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel“ im Jahr 1950 für seine Studenten einen eigenen Seminartag ansetzen. Der Schweizer Psychiater empfand dieses Fest als geniale Antwort der Kirche auf die Zeit menschenverachtender Schreckensherrschaft. Nach den verheerenden Grausamkeiten, so der Pastorensohn, würde ein unübersehbares Zeichen für die letztlich unverletzbare leibliche und seelische Würde des Menschen gesetzt.
Wer gibt den damals wie heute gefolterten, vergewaltigten und vernichteten Menschen ihre Würde zurück?, könnten wir fragen. Menschen allein wird es nicht gelingen. „Ein großes Zeichen erschien am Himmel“ (12,1), lesen wir im Buch der Geheimen Offenbarung. Dieses Zeichen des Lebens setzt Gott selber. Es ist das Zeichen einer Würde, wie Gott sie sich von Anfang an für den Menschen vorgestellt hat.
Durch gewonnene Einsichten mag unsere Umsicht und Achtung anderen Menschen gegenüber wachsen. Aber Vieles im Leben können wir einfach nicht machen. Wir können uns nur von Gott beschenken lassen. Dazu gehört nun mal ein neuer verklärter Leib, der nicht mehr gedemütigt und nicht verletzt werden kann.
Was wir tun können, damit auch wir, so wie Maria, bei Gott leibhaftig in Ewigkeit leben? Es gibt nur eine Antwort: Unser Glaube! „Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das ewige Leben“ (Joh 3,36), heißt es in der Heiligen Schrift. Diesen christlichen Glauben dürfen wir wiederholt neu bekennen: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.“
Pfarrer Wolfgang Guttmann