Sprache der Tränen

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie kennen Laurentiustränen? Es sind keine normalen Tränen. Bei den Laurentiustränen handelt es sich zunächst um eine kosmische Erscheinung, die sich Jahr für Jahr wiederholt. Jeweils in der ersten Augusthälfte durchquert unsere Erde einen großen Strom von Meteoriten. Die auf die Erde fallenden Sternschnuppen sorgen am nächtlichen Himmel für ein einzigartiges feuriges Naturschauspiel. Da am 10. August eines jeden Jahres der Gedenktag des hl. Laurentius begangen wird, werden, wie in einer Bildsprache, diese feurigen Himmelserscheinungen in Verbindung gebracht mit den Tränen des hl. Laurentius. Denn er wird tatsächlich viele Tränen vergossen haben, wenn er, so die Überlieferung, auf einem glühenden, feurigen Rost das Martyrium für Jesus Christus auf sich nahm.

Mit den Taufnamen Lars, Laura, Lawrenz oder Lara wird noch heute der Name dieses großen römischen Märtyrers weitergegeben. Irgendwie hat dieser Heilige was. Papst Leo der Große (440-461) erinnerte in einer seiner Predigten an die Glaubensstärke des hl. Laurentius: „Das innere Feuer, das in ihm brannte, half ihm, das äußere Feuer des Martyriums zu bestehen.“

Bei aller Liebe zum Glauben waren dem Diakon Laurentius die Sorgen des Lebens allemal nicht fremd. Als Mitarbeiter der Kirche wusste er um die Sorgen der Armen seiner Zeit. Er sah ihr Elend und ihre Not. Als Verantwortlicher für die Verwaltung kirchlicher Finanzen hatte er Einblick in ihre Vermögensverhältnisse. Dieses Vermögen wird Laurentius, der wenige Tage zuvor die Enthauptung von Papst Sixtus II. (257-258) miterleben musste, an die Armen Roms verteilen. Dem römischen Kaiser Valerius, der vergeblich selber dieses Vermögen an sich reißen wollte, wird der Heilige zurufen: „Die Armen sind der unvergängliche Schatz der Kirche. Achte ihn nicht gering. Heller als Gold und Diamanten erstrahlt in ihren Herzen der Glanz des Glaubens.“

Arme gibt es auch in unserer Zeit. Wie viele Tränen werden auch in unserer Zeit vergossen?! Die Nachrichten erschütternder Ereignisse reißen nicht ab. In diesem Augenblick, da ich diese Gedanken niederschreibe, höre ich von der Verschleppung hunderter von Menschen in Syrien, darunter auch vieler Christen. Wie viele Tränen der Angst und Verzweiflung werden sie vergießen? Wer denkt zudem an die Tränen der Flüchtenden aus den Gebieten des Nahen Ostens und Nordafrikas?

Es wäre schlimm, wenn es nicht Zeichen der Solidarität gäbe mit denen durch Armut, und Krieg, und Gewalt leidvoll Gezeichneten – auch bei uns. Mit Hilfe der Caritas nahm sich der Männerkreis unserer Quickborner Gemeinde beispielsweise monatelang einer syrischen Flüchtlingsfamilie an. Beruflich und wirtschaftlich ist die Familie inzwischen abgesichert und gesellschaftlich integriert. Es trat ein, was unser Männerkreis sich erhoffte.

Ebenso bietet das wöchentlich in unserem Gemeindehaus stattfindende Flüchtlingscafé umfassende Möglichkeiten an zur Integration. Dieses Gesprächsangebot, bei dem regelmäßig eine positive Atmosphäre aufkommt, wird gern von einer großen Anzahl von Flüchtenden und Asylsuchenden wahrgenommen. Zugleich lässt das Flüchtlingscafé durch viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine überzeugende Willkommenskultur aufkommen. Diese Zeichen sind zu verstehen in Zusammenhang mit unzähligen weiteren anerkennenswerten Signalen der Nächstenliebe in unserem Land und darüber hinaus.

Eine lange Tradition besagt: Beim Erscheinen der Sternschnuppen, also der Laurentiustränen, darf man sich etwas wünschen. Das dürfen wir auch. Allerdings tun wir es, wie der hl. Laurentius, als Christen. Es bedeutet: wir nehmen Jesus in den Blick und das, was er für uns tat. Sein Opfer am Kreuz ist für uns Christen eine göttliche Entscheidung. Diese Entscheidung schreit nach Würde, nach Annahme, nach Gerechtigkeit.

Unser Wunsch also: Allen Frauen und Männern, Kindern und Jugendlichen, die wegen erlittener Armut, Krieg und Gewalt bittere Tränen in den Augen haben, mögen eine Gerechtigkeit erfahren, die sie persönlich erfüllt und ihr Leben in einem umfassenden Sinn reicher macht. Vor Gott ist wirklich keine Träne umsonst. Gott versteht, wie beim hl. Laurentius, die Sprache der Tränen.

Pfarrer Wolfgang Guttmann