Zwiesprache mit Gott

Liebe Mitchristen,

im Gleichnis Jesu im Lukas-Evangelium, 8 1-18, fordert eine Witwe einen Richter mit Nachdruck auf, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen. Der Richter wird als ungerecht beschrieben, also was sind wohl die Erwartungen der Witwe? In dem Gleichnis geht es Jesus nicht um den ungerechten Richter und die Frage des Rechtbekommens, sondern um das beharrliche Bitten.

Und wenn schon ein ungerechter Richter sich erweichen lässt, wenn man nur unaufhörlich bittet, dann wird es Gott bei uns erst recht tun: „er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen“. Aber Jesus fügt einen Satz hinzu: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“ Diese Frage ist Prophezeiung und Warnung zugleich.

Jesus umschreibt mit dem beharrlichen Bitten den Glauben und das Beten als Ausdruck einer persönlichen Beziehung zu Gott. Aber warum hat das Beten bei Jesus und in unserer Glaubensbeziehung zu Gott eine so große Bedeutung? Wir finden Trost oder Ruhe oder seelisches Gleichgewicht in unterschiedlichsten Gebeten. Ausformulierte Gebete stellen ein wichtiges Fundament dar, zum Beispiel in Gottesdiensten, rituelles Beten hat meditativen und beruhigenden Charakter und einige Gebete, wie das Vaterunser, sind in ihrer Routine Fundament und verbindendes Element unserer christlichen Gemeinschaft. Nicht zu vergessen das „Gott schütze Dich!“ zusammen mit dem Kreuz, das Kindern am Abend beim Schlafengehen oder morgens beim Verlassen des Hauses vor dem Weg zur Schule oder zum Kindergarten auf die Stirn gezeichnet wird. Aber Beten ist deutlich mehr. Kardinal Franz König, ehemaliger Erzbischof von Wien, hat das sehr klug wie folgt umschrieben:

Das persönliche Gebet ist ein Sprechen, ein Dialog, aber nicht in einen leeren Raum hinein, sondern auf jemanden zu. Mein Gebet hat eine Richtung. Ich wende mich an Ihn, der mich liebt und den wir Gott nennen. Das Wichtigste aber ist, regelmäßig zu beten und nicht aufzugeben. … Und verlass dich darauf, dein Beten wird gelingen und wirksam sein! Es ist nie vergeblich. Alle unsere Gebete werden beantwortet, wenn auch oft auf unvorhergesehene Weise und zu unverhoffter Zeit. Beten ist aber auch fordernd. Es ist eine Herausforderung. Beten ist unbequem und bringt außerdem ein gewisses Risiko mit sich. Denn im Gebet vernehmen wir unweigerlich die Stimme unseres Gewissens, das uns sagt, was wir tun oder nicht tun sollten.

Besser kann man es nicht zusammenfassen. Es heißt, Beten ist das Zwiegespräch mit einem stillen, persönlichen Gegenüber, mit jemandem, der mir Richtung und Orientierung gibt. Er tut dies nicht durch klar geäußerte Ratschläge, sondern durch die Möglichkeit, dass ich mein Handeln, mein Tun immer wieder vor ihm ausbreiten kann, so lange, bis ich einen Weg, eine Lösung gefunden habe, bis ich zu einer Erkenntnis gekommen bin. Die Gebote Jesu und die Weisheiten der Evangelien und Schriften sind immer wieder der Kompass und er ermutigt uns, geduldig und ausdauernd zu sein. Gewissenserforschung und Erkenntnisgewinn brauchen mitunter Zeit, und die dürfen, die müssen wir uns nehmen.

Hier liegt möglicherweise das Problem. In unserer hektischen Gegenwart fehlt es oft an der erforderlichen Zeit, uns fehlt es an ausreichend Gelegenheit, die Lücken zwischen der Nutzung Sozialer Medien, dem Konsum von Internet und Fernsehen und ununterbrochener Erreichbarkeit per Handy werden kürzer. Dabei ist die Zwiesprache mit Gott, das Beten, die Abwägung eigenen Verhaltens und die Suche nach der richtigen Entscheidung nur möglich, wenn man sich Zeit und Ruhe nimmt, und wenn man sich Räume schafft, die frei sind von Fernsehen, Internet, Telefon und Social Media. Ist es vielleicht genau diese Situation, die Jesus in dem Gleichnis schon vor über 2.000 Jahren beschreibt? Findet der Menschensohn noch Glauben, wenn er kommt? Nehme ich mir die Zeit, beharrlich und kontinuierlich den richtigen Weg zu suchen und zu finden, zu bitten, zu beten sowie mein Gewissen zu erforschen? 

Zwiesprache, wie Kardinal König sie beschreibt, ist dennoch bei vielen Gelegenheiten möglich, beim Sport, beim Autofahren, beim Spaziergang, beim Rasieren oder Zähneputzen, beim Kochen oder eben auch im Gottesdienst. Kardinal König sagt: „Alle unsere Gebete werden beantwortet, wenn auch oft auf unvorhergesehene Weise und zu unverhoffter Zeit.“

Wir sollten daran glauben, in der Zwiesprache mit dem göttlichen Gegenüber Antworten zu erhalten, und darauf hoffen, die Antworten als solche zu erkennen. Uns allen wünsche ich, dass der Menschensohn, wenn er kommt, bei uns den Glauben findet, den er im Evangelium einfordert. 

Jürgen Kuper