In den letzten Monaten hatte ich von meinem Büro in Quickborn aus immer einen Blick auf den Kirchplatz. Aus der Beobachterposition konnte ich gut sehen, was auf diesem Platz alles passiert. Morgens kamen die Kinder und Eltern auf dem Weg zum Kindergarten. Die Spazierroute vieler Menschen, gerne auch mit Hund ging über diesen Platz. Nachmittags spielten die Kinder am Brunnen, malten Hüpfkästchen und übten Fahrradfahren. Die Besucher des Caritas-Migrationsdienstes, die Postboten und die Besucher des Pfarrbüros kamen über den Platz. Viele nutzten die Bänke für einen Augenblick der Ruhe oder trafen sich dort zum Austausch. Immer wieder mal ging auch jemand in die Kirche um eine Kerze anzuzünden, zu beten, oder einfach nur, um sich die Kirche anzuschauen.
Die neugebaute Quickborner Marienkirche hat eine interessante Architektur. Für mich besteht sie aus zwei Teilen: dem Kirchengebäude und dem Kirchhof. Der innere und der äußere Bereich sind in einer glücklichen Einheit miteinander verbunden. Der Raum des Gottesdienstes und der Raum des alltäglichen Lebens gehören zueinander. Auf der einen Seite wird gebetet und gesungen, auf der anderen gespielt, sich ausgeruht und getroffen. Die großen Fensterfronten erlauben den Blick von einem Bereich in den anderen. In der Mitte steht der Kirchturm und in ihm die Taufkapelle. Durch ein steinernes Band im Fußboden verbindet sich der Brunnen auf dem Hof mit dem Taufbecken und dem Altarraum. Das alles hat eine inhaltliche Aussage: Das alltägliche Leben und das Leben im Glauben gehören zusammen. Die Kirche ist gleichzeitig ein Innen- wie auch ein Außenraum. Es bleibt eine Herausforderung, diese Idee immer wieder mit Leben zu füllen.
Die Person Johannes des Täufers, dessen Geburt heute gefeiert wird, steht für diese Innen/Außen-Bewegung. Für die Juden war klar: Mittelpunkt des religiösen Lebens ist der Tempel. Er hatte mehrere Höfe. In den innersten kamen nur die Priester, in den davor die Juden (nur die Männer), in den davor die jüdischen Frauen und davor lag der Vorhof der Heiden, der also von allen betreten werden durfte. Johannes durchbricht diese Logik der Konzentration auf den Tempel. Er beginnt sein Wirken am Ort, der gefühlt am weitesten vom Tempel entfernt ist. Er geht nicht in die Stadt Jerusalem, sondern nach draußen in die Wüste, sogar auf die andere Seite des Jordan. Dort sollte man eigentlich niemanden mehr vermuten, zuletzt Menschen, die dort mit religiösen Bedürfnissen hinkommen. Der Ort und die Botschaft des Johannes sind eng miteinander verknüpft. Er verkündet Gottes Kommen weit draußen, vor den Toren der Stadt. Und erreicht die Menschen, die sich in ihrem Leben weit vom Tempel, also weit von Gottes Geboten und seiner Herrschaft entfernt haben. Zu ihm kommen die „outlaws“, Zöllner, Dirnen, Sünder, Verbrecher. Es wird deutlich: So weit sie auch von Gott entfernt sind, sie sind doch nicht von ihm vergessen. Mehr noch: Gott hat ein Interesse an ihnen und ermöglicht ihnen den Weg zur Umkehr und zur Rückkehr in sein Heiligtum. Damit prägt Johannes das vor, was auch Jesus verkünden wird: Das Reich Gottes ist für alle bestimmt.
Ich glaube, dass es eine zentrale Herausforderung für uns als Christen ist, den Weg des Johannes immer wieder neu zu entdecken. Die Kirche ist eben kein abgetrennter Raum, sondern das meiste geschieht außerhalb ihres Gebäudes. Der Kirchplatz ist nun alles andere als eine Wüste, aber der Ort, an dem die Sphären sich mischen und verbinden. Wie sähe eine Seelsorge aus, die mit der Verkündigung auf dem Kirchplatz beginnt? Es wäre eine Seelsorge, die das Innere, Gottes Heilswillen für die Menschen nach außen trägt und das Äußere, das alltägliche Leben der Menschen in das innere bringt. Eine solche Durchlässigkeit knüpft an die Verkündigung Jesu an, der durch die Dörfer und die Landschaften zieht. Der Anspruch für uns als Christen ist hoch. Und ein solches Programm lässt sich nicht einfach umsetzen. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Seelsorge und damit auch das Leben unsere Gemeinden sich aus diesen beiden Polen speist: Dem Innen, also dem Gebet und Gottesdienst, in höchster Form in der Eucharistiefeier und dem Außen, in der Teilnahme am ganz normalen Leben der Menschen um uns herum. Die Kirche darf keine Sonderwelt der Eingeweihten werden, keine Welt des „Innen“. Genauso wenig darf sie sich im Äußeren verlieren und aufhören, auf das Innere hinzuwirken.
Papst Franziskus hat auf diesen Zusammenhang immer wieder deutlich gemacht, wenn er von der „verbeulten“ Kirche spricht, die sich deshalb schmutzig macht und angreifbar, weil sie sich vom Leben der Menschen nicht getrennt hat. Ich würde mir wünschen, dass dies auch in unseren Gemeinden immer mehr Realität werden könnte.
(Pfarrer Dr. Georg Bergner)
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