Himmelfahrt und Raumfahrt

Eine der weltweit innovativsten, aber auch umstrittensten Persönlichkeiten ist Elon Musk. Er ist der Manager der Unternehmen Tesla und SpaceX und versteht sich als ein großer Pionier unserer Zeit. Bei Tesla geht es um die Revolutionierung der Mobilität durch elektrische Antriebe. Bei SpaceX geht es um nicht weniger als die Revolution der bemannten Raumfahrt. Durch die Entwicklung einer neuartigen Trägerrakete soll es möglich werden, die Kosten für Flüge ins All drastisch zu reduzieren. So soll es auch Privatpersonen möglich werden, in den Weltraum zu fliegen. Es geht aber langfristig um mehr, als um Weltraumtourismus. Das Unternehmen nennt als eigenes Ziel, Technologien zu entwickeln, die es der Menschheit ermöglichen sollen, einmal den Mars zu besiedeln. Was also bislang eher ein Stoff für science-fiction-Filme war, soll innerhalb weniger Generationen Wirklichkeit werden. Es geht um eine Demokratisierung der bislang unzugänglichen Welt da draußen. Die Menschheit wird zu einem Volk von kosmischen Reisenden und Siedlern, oder um es mit dem Namen des heutigen Festes zu sagen: „Himmelfahrt“ for everybody.

Der Aufstieg in unbekannte Fernen ist nicht mehr bloß ein unglaubliches Geschehen einer fernen Vergangenheit, als ein einzelner, Jesus Christus vor den Augen der staunenden Jünger diese Reise antritt. Der Vergleich zwischen dem Himmelfahrer von damals und den Himmelfahrern der Zukunft scheint weit hergeholt. Denn natürlich geht es bei der Himmelfahrt Christi nicht um Raumfahrt im naturwissenschaftlich-technischen Sinn, sondern um ein Bild dafür, dass Christus zu seinem Vater heimkehrt, in eine Realität, die uns in ihrer Unmittelbarkeit verschlossen ist. Aber bei genauerer Betrachtung ist die Idee der Raumfahrt durchaus mit der Idee der christlichen Himmelfahrt verwandt. Wie das?

Im Grunde setzt die Raumfahrt fort, was in der Menschheitsgeschichte immer schon da war. Es geht um die Erschließung des bislang unzugänglichen Raumes. Der Mensch hat offensichtlich den Drang, manchmal auch die Notwendigkeit, den Raum für sich zu erweitern. Davon zeugen schon die Wanderungsbewegungen von Sippen, Stämmen und ganzen Völkern seit den frühen Zeiten der Menschheit. Davon erzählen die großen Entdeckungsfahrten der europäischen Seefahrer des 14. und 15. Jahrhunderts. Davon berichten die Entdecker und Missionare der Neuzeit, die den Amazonas bereisen, die Nilquelle suchen, die Wüsten durchqueren oder das Innere Australiens erforschen. Es sind die Geschichten der Abenteurer, die den Mount Everest besteigen oder den Südpol erwandern. Und es sind die Geschichten der Techniker, die Eisenbahnlinien durch Sibirien legen, mit U-Booten und Sonden die Tiefen des Meeres erforschen, Straßen durch den brasilianischen Urwald bauen, Fluggeräte entwickeln, die den Luftraum für Menschen erschließen, oder über Satelliten jeden Winkel der Erde beobachten können. Sie alle erschließen den Raum, sie forschen und kartographieren, sie siedeln als Pioniere in unbekanntem Terrain, sie schreiben Reiseberichte, malen und fotografieren, sie entlocken dem Raum seine Geheimnisse, machen ihn zugänglich und erfahrbar.

Auch die Himmelfahrt hat einen solchen Ausgangspunkt. Auch hier geht es um die Erschließung des Raumes. Allerdings eine Erschließung des Raumes für Gott, wenn man so will. Es geht um die Ausdehnung und Wirkmächtigkeit der Präsenz Gottes in der Welt. Warum ist das nötig? Die antike Welt kannte zwei Sphären, die menschliche (unten) und die göttliche (oben). Zu letzterer zählte der beobachtbare Himmel. Beide Sphären waren kaum miteinander verbunden. Das Alte Testament verändert diese Sichtweise. In Jerusalem steht der Tempel als Ort der Präsenz Gottes in der Welt. Aber das Heiligtum ist zunächst das Heiligtum der Juden. Es soll aber zum zentralen Heiligtum aller Völker werden. Ps 47 schildert die Inbesitznahme des zukünftigen, herrlichen Tempels durch Gott und sagt: „Gott stieg empor unter Jubel, der HERR beim Schall der Hörner. Gott wurde König über die Völker, Gott hat sich auf seinen heiligen Thron gesetzt. Versammelt sind die Fürsten der Völker als Volk des Gottes Abrahams. Denn Gott gehören die Schilde der Erde; er ist hoch erhaben.“ Das Hinaufsteigen Gottes bewirkt seine Erhöhung vor allen Völkern. Es ist ein Hinaufsteigen zum Tempel und zugleich ein Hinaufsteigen zu einem himmlischen Thron. Die Sphären verschwimmen ineinander, Himmel und Erde sind in der endzeitlichen Herrschaft Gottes vereint. Der Welten-Raum ist für Gott erschlossen. Das Reich Gottes ist da.

Daher erklärt der Hebräerbrief die Himmelfahrt Christi, indem er sagt: Das Heiligtum, also der Tempel war ein Bild für den Himmel. Christus führt uns über das Bild des Heiligtums hinaus. Wörtlich: „Denn Christus ist nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes Angesicht zu erscheinen für uns.“ Die Zeit der Verbindung von Himmel und Erde ist jetzt da. Der Raum ist für das Wirken Gottes neu erschlossen.

Die Himmelfahrt ist eine Raumfahrt. Sie erweitert den Raum für die Begegnung mit Gott. Die Apostelgeschichte kleidet diese Wirklichkeit in eine Erzählung. Die Apostel fragen: Stellst Du das Reich Israels wieder her?“ – also kommt jetzt das angekündigte Reich der Herrschaft Gottes, das von Israel ausgeht? Und Jesus gibt ihnen zur Antwort: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ Die Apostel werden in diesem Augenblick selbst zu denen, die den Raum durchstreifen. Die Verbindung von Himmel und Erde soll allen Menschen bekannt werden. Im Heiligen Geist stehen auch wir in diesem Raum, an einem Ort, der nie ein gottferner Ort, in einem Leben, das kein gottloses sein kann. Der Raum Gottes ist geöffnet und wir sind gesandt, ihn zu besiedeln.

(Pfarrer Dr. Georg Bergner)