Selten hört man wie im heutigen Evangelium im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen eine so dringende Mahnung.
Bereitet euch vor auf das, was geschehen kann, plant und sorgt vor, hört zu, denkt nach und vermehrt euer Wissen, macht euch konkurrenzfähig, könnte man ergänzen. Sonst kann es passieren, dass man den entscheidenden Moment verpasst und unwiederbringlich eine Tür zugeschlagen wird.
Mir kommt es so vor, als sei diese Aufforderung Jesu im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen, nämlich wachsam zu sein und aufzupassen, was um einen herum geschieht, so entscheidend wie keine andere Empfehlung, um sein Leben in die Hand zu nehmen und selbstbestimmt zu gestalten.
Man kann über das Gleichnis hinausdenken:
Es gibt auch in unserem Leben unangenehme Folgen des gemütlichen In-den-Tag-Hinein-Lebens, der Passivität, der Lust- und Entscheidungslosigkeit, der körperlichen und geistigen Trägheit, der Gewohnheiten, die unbeweglich machen,
wenn die Aufgaben des Tages anstehen, wenn Pläne gemacht werden und für die Zukunft vorgesorgt werden muss. Vielleicht merkt man im Trott des Alltags gar nicht, welche neuen Wege, welche Entwicklungen man verschläft, welche Chancen man auslässt.
Man sieht, schon aus eigenem Interesse ist es notwendig, wachsam zu sein. So wie es im Gleichnis den törichten Jungfrauen passiert ist, besteht die Gefahr, sonst plötzlich ausgebootet zu sein, den entscheidenden Augenblick der Vorbereitung verpasst zu haben mit der Konsequenz, dass inzwischen die Tür zugeschlagen worden ist.
Jesus hat hier, wie mir scheint, eine ganz menschliche, weit verbreitete Schwäche aufs Korn genommen, die Passivität nämlich, die Bequemlichkeit, unter Umständen sogar das Bedürfnis, möglichst ohne Anstrengung Vorteile in Anspruch zu nehmen, die aktivere andere Leute erarbeitet haben. Nicht selten gelingt das sogar, dank der Freundlichkeit und Gutmütigkeit vieler Menschen, die Trägere an dem teilhaben lassen, was sie selbst schaffen.
Aber es geht für uns als Christen nicht nur um das eigene Dasein, um eine angenehme Lebensgestaltung und um Sicherung der Zukunft.
Es geht beim Wachsamsein auch darum, sich der eigenen Verantwortung bewusst zu werden, nicht nur sich selbst, sondern auch den Mitmenschen gegenüber. Es geht auch um die Bereitschaft, die eigenen Fähigkeiten, man kann auch sagen Talente, nicht nur zum eigenen Wohl einzusetzen, sondern ebenso zum Wohl der Gemeinschaft.
Für das eigene Wohl zu sorgen, das schafft man vielleicht auch noch als relativ passiver, bequemer Mensch. Von solchen Leuten will ich nicht weiter reden. Wichtiger sind mir heute diejenigen, die uns als Beispiel dienen können, wie man mit wachen Sinnen durch das Leben gehen und deshalb spontan reagieren kann, wenn es die Situation erfordert.
Viele Beispiele von Menschen könnte ich nennen, die gerade auch aus christlicher Verantwortung heraus wachsam die Bedürfnisse und Nöte ihrer Mitmenschen im Auge haben, viele Namenlose gibt es, die genau dasselbe tun, aber es scheint mir hilfreich zu sein, die wachsame Aktivität mit einigen konkreten Namen zu verbinden.
Heute ist der Gedenktag des heiligen Martin von Tours. Er hat vor mehr als tausend Jahren gelebt, aber noch heute verbinden wir mit seinem Namen ein Beispiel der Barmherzigkeit. Ohne sein waches Auge und seine bewusste Wahrnehmung der Umwelt wäre ihm der frierende Bettler nicht aufgefallen, ohne Einfühlungsvermögen und Mitleid wäre er nicht aktiv geworden und hätte seinen Mantel nicht mit dem Mann geteilt. Ohne seine innere Verbindung mit Gott hätte er nicht im Traum erlebt, dass der Bettler, dem er seinen halben Mantel geschenkt hat, Jesus Christus selbst war. „Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, kennen wir aus der Heiligen Schrift.
Gestern haben wir mit den Kindern der St. Marien-Gemeinde in Quickborn im Martinsspiel dieses Geschehen ins Gedächtnis geholt und anschließend mit St. Martin auf dem Pferd einen Laternenumzug gemacht. Ich denke, dass viele Kinder begriffen haben, wie wichtig und wertvoll es ist, auf seine Mitmenschen aufzupassen.
Morgen am Sonntag begehen wir in Quickborn den Tag der Senioren. Die Caritasgruppe der Gemeinde, die sich neben der Flüchtlingsarbeit vor allem um ältere Gemeindemitglieder kümmert, hat die heilige Messe und das nachfolgende Mariencafé vorbereitet. Auch bei dieser Aufgabe ist es notwendig, wachsam zu sein und niemanden aus dem Auge zu verlieren, auch wenn er oder sie wegen Alter, Krankheit oder sonstiger Beschwerden nicht mehr am Gemeindeleben teilnehmen kann. Ein Vorbild und Beispiel hat für die Caritas-Helfer und –helferinnen die heilige Elisabeth von Thüringen gegeben, ihr Gedenktag ist der 19. November. Auch sie hat – wie St. Martin – die Augen aufgemacht und die Nöte der Menschen gesehen. Wie er hat sie reagiert und geholfen, trotz persönlicher Nachteile, die sie deswegen erleiden musste.
Gestern war der Gedenktag der Lübecker Märtyrer, also der 3 Kapläne Prassek, Müller und Lange sowie des evangelischen Pastors Stellbrink, die 1943 von den Nazis hingerichtet wurden. Sie hatten sich nicht abgefunden mit dem Unrecht der damaligen Zeit und hatten wachsam und mutig ihre Stimme erhoben. „Seid wachsam!“ – diese 4 Männer haben die Mahnung befolgt.
Wie würden unsere christlichen Gemeinden, ja unsere gesamte Gesellschaft aussehen ohne diese von Jesus geforderte Wachsamkeit, ohne diese Bereitschaft, Not zu sehen und zu handeln, wie es im Caritas-Leitwort heißt?
Aktiv und tatkräftig zu sein, ist unbedingt notwendig, um das eigene Leben zu gestalten, aber der eigentlich christliche Auftrag muss es doch sein, wach für die Welt um uns herum zu werden und einzugreifen, wenn unsere Möglichkeiten das zulassen. Egal, ob es sich um frierende Bettler, hungernde Arme, gebrechliche Senioren, Flüchtlinge, ungerechte Gesetze oder sonstige Notlagen handelt:
Lasst uns allen gesagt sein: Passt auf, denn eure Wachsamkeit ist immer und überall gefordert.
(Sabine Heckmann)
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