Liebe Schwestern und Brüder,
es ist Kriegswinter 1944/45. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer sitzt seit eineinhalb Jahren in Nazi-Haft. Die Anklage lautet auf Wehrkraft-Zersetzung. Das Verfahren wird zwischenzeitlich aufgeschoben. Bonhoeffer aber bleibt hinter Gittern. Seit Oktober 1944 ist er nach Berlin überführt. Wegen seiner persönlichen Nähe zu den Widerstandskämpfern ist das NS-Regime wieder auf den 38-jährigen Theologen aufmerksam geworden. Das Todesurteil für Dietrich Bonhoeffer scheint bereits fest zu stehen.
In dieser Lebenssituation schreibt Dietrich Bonhoeffer das vertrauensvolle Gebet „Von guten Mächten treu und still umgeben“. Unzählige Menschen haben seitdem aus den Strophen dieses Liedes Trost und Hoffnung geschöpft. Schon seit vielen Jahren wird dieses Lied auch in katholischen Kirchengemeinden gesungen. Mit dem neuen Gotteslob jedoch ist es nun endgültig zum festen Bestandteil des katholischen Liedgutes geworden.
Dietrich Bonhoeffer gehört zu denen, die ernst machen mit der Aufforderung Jesu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die zwar den Leib töten, euch aber sonst nichts anhaben können“ (Lk 12,4). Diese überzeugende Gestalt evangelischer Glaubensgeschichte beeindruckt noch heute. Bei dem großen Theologen waren Denken und Fühlen, Wollen und Tat aufs engste miteinander verwoben. Dennoch wird Bonhoeffer seine eigene Wesensart hinterfragen. Dieser sensible und zugleich illusionslos Denkende spricht in einem Zeugnis aus der Zeit der Gefangenschaft zu sich selbst: „Wer bin ich? Der oder jener? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.“ Und dann lautet sein Bekenntnis: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“
Während der NS-Zeit litt Bonhoeffer unter der ‚Maskerade des Bösen‘, wie er es nannte. Eine Maskerade, die alle ethischen Vorstellungen durcheinanderwirbelte und alle diejenigen zu Schuldigen stempelte, die sich für Gerechtigkeit, für Freiheit und für ihren Glauben einsetzten. Sein Leiden am erfahrenen Unrecht führte zum Widerstand gegen das Unrechtsregime. Abgelöst wurde sein Widerstand letztlich durch seine Ergebung in den geheimnisvollen Willen Gottes. In seinem Tod sah er die Krönung der menschlichen Freiheit und Verantwortung.
Dietrich Bonhoeffer kommt 1906 in Breslau zur Welt. Er ist das sechste von acht Kindern, denen seine Mutter Paula das Leben schenkt. Sein Vater Karl bleibt der Nachwelt in Erinnerung als Professor für Psychiatrie und Neurologie in Berlin. Der Sohn Dietrich studiert Theologie in Tübingen und Berlin, promoviert und habilitiert sich schließlich an der Berliner Universität. Er übt seine theologische Tätigkeit als Privatdozent aus und ist zugleich Studentenpfarrer.
Dem Nationalsozialismus erklärt er von Anfang an seine Gegnerschaft, was dazu führte, dass er eine Lehrbefugnis als Direktor eines illegalen Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finsterwalde verliert. Die Verbotsliste wegen, wie es hieß, „volkszersetzender Tätigkeit“ setzte sich weiter fort mit Reichsredeverbot sowie Druck- und Veröffentlichungsgebot. Schon am 1. Febr. Februar 1933, also zwei Tage nach der Machtergreifung, hatte sich Dietrich Bonhoeffer in einem Rundfunkvortrag so eindeutig gegen den Führerkult gewandt, dass sein Vortrag sogar während der Sendung unterbrochen wurde.
Dietrich Bonhoeffer gehörte zu denen, die den unheilvollen Weg des Naziregimes schon wesentlich früher erkannten als die offizielle Kirche. Für ihn war die Stimme der offiziellen Kirche nicht laut genug. In einem Artikel aus Anlass des Nichtariergesetzes vom April 1933 schreibt er, dass hinsichtlich der Judenfrage die Kirche sich zu bewähren habe, ob „Kirche noch Kirche ist oder nicht.“ Er wandte sich gegen eine Flucht der Kirche in die Liturgie, wenn Bonhoeffer schreibt: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“
Die Verhaftung Bonhoeffers im April 1943 leiteten eine Leidenszeit ein, die ihn nach langen Prüfungen zu einer absoluten Hingabe an den Willen Gottes führen. Der Widerstand gegen die Macht des Bösen wird nach Bonhoeffers Einsicht erst durch die Ergebung in Gottes Willen vollendet. Er hinterlässt in seinen Haftaufzeichnungen ein geistliches Vermächtnis, welches bis heute zeitlos geblieben ist. Zu diesem Vermächtnis gehört das Lied: „Von guten Mächten treu und still umgeben.“ Die Gedanken dieser Verse vermitteln auch heute unzähligen Menschen Trost und verschaffen einen inneren Frieden.
1. Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Refr.: Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
2. Noch will das alte unsre Herzen quälen,
Noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach, Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
Das Heil, für das du uns geschaffen hast.
3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken
und dann gehört dir unser Leben ganz.
5. Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht.
Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Pfarrer Wolfgang Guttmann