Ein Hörfunkreporter bezeichnete während des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft 1954 zwischen Deutschland und Ungarn in Bern den Schlussmann der deutschen Nationalmannschaft als „Fußballgott“. Im Originalton war zu hören: „Die Verteidiger der Ungarn müssen weit mit aufrücken, jetzt heben sie den Ball in den deutschen Strafraum hinein – Schuss! – Abwehr von Turek! Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!“ Die Verwendung des Wortes „Fußballgott“ kam damals bei einigen nicht gut an. Nicht allein Kirchenvertreter tadelten diesen Ausdruck. Selbst der damalige Bundespräsident stellte fest: „Bei aller Begeisterung, das geht zu weit.“
Die Ereignisse von Bern sind gerade gut sechzig Jahre her. Damals musste sich der Hörfunkreporter für seine Wortwahl öffentlich entschuldigen. Heute findet die Bezeichnung „Fußballgott“ regelmäßige Erwähnung. Auffällig ist, dass diese Bezeichnung in verschiedenen Zusammenhängen verwandt wird. Da ist zum einen ein Sportler wie Toni Turek (1919-84), der erstaunliche Leistungen zustande zu bringt und sozusagen wie den Göttern gleich Fußball spielen kann. Der Erfolg von Bern war für die deutsche Bevölkerung, die noch traumatisiert war von den bitteren Ereignissen des 2. Weltkrieges, tatsächlich wie ein Ereignis vom anderen Stern, daher auch genannt das „Wunder von Bern“.
Die Bezeichnung „Fußballgott“ kann zudem auch in übernatürlicher Weise verstanden werden als eine höhere, ja göttliche Instanz. In der griechischen und römischen Mythologie waren Denkmuster dieser Art üblich: Artemis bzw. Diana stand beispielsweise als Hüterin der Frauen und Kinder und war zugleich Göttin der Fruchtbarkeit und der Jagd, Eros bzw. Amor verstand sich als der Gott der Liebe. Um ihre Gunst zu erwerben, wandte man sich an sie. Wie bei den Göttern der Antike wäre der Fußballgott dann angefragt, wenn auf dem Spielfeld bestimmte Ohnmachtssituationen entstehen oder wenn nach ausgleichender Gerechtigkeit gefragt wird.
Dass Fußballer religiös sind, konnte jeder bei dieser Europameisterschaft in Frankreich wieder mitverfolgen. Nicht wenige Spieler bekreuzigten sich beim Auflaufen auf den Platz. Sie taten es ebenso, wenn sie ein Tor geschossen hatten oder den Platz wieder verließen. Ein bundesdeutscher Nationalspieler hat zudem auf dem Unterarm die Jungfrau Maria eintätowiert. Bundesligaspieler tragen unter dem ein Trikot auch schon einmal ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Jesus lebt und liebt Dich.“ Und in der Stadionkapelle von Schalke 04 können regelmäßig Stoßgebete zum Himmel geschickt werden. Gibt es also doch einen Fußballgott?
Treffliche Antworten geben bekannte Größen aus dem Bereich Kirche und Sport. Die frühere Landesbischöfin Margot Käßmann (*1958) betonte, es gäbe keinen „Fußballgott“, und zudem sei der Gott, den wir verehren, absolut „vereinsfrei“. Der früher Nationaltorhüter Oliver Kahn (*1969) betonte ebenso, Gott wäre nicht fußballspezifisch, sondern da für alle Christen. Und der jetzige Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki (*1956), brachte zum Ausdruck, es gebe keinen „Fußballgott“, sondern nur Spieler als Sieger oder Verlierer.
Warum aber bekreuzigen sich so viele Spieler im Stadion? fragte jemand im Internet. Die klügste aller Antworten war wohl jene, als jemand festhielt: die Spieler tun es deswegen, damit sie mit den Gegebenheiten und mit den Ergebnissen des Spiels besser umgehen können. Die Antwort war insofern klug, da auch dogmatisch nicht auszumachen ist, ob gläubige Spieler häufiger gewinnen als andere.
Die Glaubensvorstellung, es gäbe neben vielen anderen Göttern noch einen eigenen Fußballgott, liegt uns Christen völlig fern. Zumindest bei uns in Europa ist so etwas wie Vielgötterei so gut wie ausgestorben. Schon im Alten Testament (Ps 86,8) bekennt ein Beter ehrfurchtsvoll: „Herr, unter den Göttern ist keiner wie du und nichts gleicht den Werken, die du geschaffen hast.“
Kleinlich und lächerlich gäbe sich ein sogenannter „Fußballgott“ gegenüber unserem Gott der Schöpfung und der Erlösung. Dieser schenkt wirklich erst das Talent, kreativ etwas aus unserem Leben zu machen. Dazu gehört auch die sportliche und faire Auseinandersetzung untereinander. Im Geist des Christentums hat das viel mit Achtung und Würde gegenüber dem Nächsten zu tun.
Auf den Punkt brachte es einmal der Trainer Jürgen Klopp (*1967; früher Borussia Dortmund, jetzt FC Liverpool). Gefragt nach einem Fußballgott, war seine spontane Antwort: „Natürlich gibt es keinen Fußballgott. Aber ich glaube schon an jenen Gott, der uns Menschen liebt, genauso wie wir sind, mit all unseren Macken, und der einem jeden seine Talente mit auf den Lebensweg gegeben hat. Und deswegen glaube ich auch, dass er auch den Fußball liebt! Nur: Das Tor musst du schon selber schießen.“
Es gibt gewiss viele Fußballwunder, diese sind jedoch verschwindend klein gegenüber dem Wunder des Glaubens!
Pfarrer Wolfgang Guttmann
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