Liebe Schwestern und Brüder,
ein Seifenfabrikant sagt zum Missionar: „Das Christentum hat nichts erreicht. Obwohl es schon seit zweitausend Jahren gepredigt wird, ist die Welt nicht besser geworden. Es gibt immer noch Böses und böse Menschen.“ Der Missionar wies dabei hin auf ein schmutziges Kind, das im Dreck spielte und bemerkte: „Seife hat auch nichts erreicht. Es gibt immer noch Schmutz und schmutzige Menschen in der Welt. „Seife“, entgegnete der Fabrikant, „nutzt nur, wenn sie angewendet wird.“ Kurz entschlossen antwortet der Missionar: „Beim Christentum ist es nicht anders.“ Diese kleine Erzählung halte ich für trefflich für die Botschaft des Pfingstfestes. Wenn Pfingsten das Fest des Heiligen Geistes ist, dann will dieser Geist Gottes durch einen jeden uns zur Anwendung kommen.
Wir merken, das ist gar nicht so leicht. Wir merken es in unserer eigenen Lebensgeschichte, die angereichert ist mit Versagen und Inkonsequenz. Wir merken es auch mit jenen Menschen, die uns, auf welche Weise auch immer, nahe stehen. Viele haben die Quellen ihres Glaubens ausgeblendet: die Heilsgeschichte Gottes mit dem Menschen, die Bergpredigt Jesu, die Gebote Jesu der Gottes- und der Nächstenliebe. Gebote, die Jesus nicht nur predigte, sondern auch lebte. Dieser Mann aus Nazareth brachte durch sein Leben und seine Lehre eine neue Generation von Menschen und damit eine ganz neue Art des Denkens hervor. Viele Menschen unserer Tage wissen gar nicht mehr, was es an Weihnachten, Ostern oder Pfingsten noch zu feiern gibt.
Auf Defizite gelebten christlichen Glaubens macht in diesen Tagen Papst Franziskus aufmerksam. In seiner Rede des an ihn in verliehenen Aachener Karlspreises richtet er mahnende Fragen an die Europäer: „Was ist mit dir los, Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Der Papst beklagt ein Europa, das versucht ist, eher Räume zu sichern und sich zu „verschanzen“. Der Papst erinnert an die Säule des christlichen Humanismus und die Werte, die die Botschaft des Evangeliums Jesu mit sich bringen.
Erinnern wir uns an das Evangelium (Joh 20,19-23) des Pfingstfestes. Die Jünger Jesu sind ebenfalls dabei, sich zu verschanzen. Sie halten aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen. Das kommt einem bekannt vor. In diesen Tagen erleben wir es auch. Viele verschanzen sich vor fremden Kulturen, vor anderen Religionen, nicht zuletzt vor den Muslimen. Dabei weiß jeder, dass jeder von ihnen ein Mensch ist wie du und ich. Navid Kermani, Orientalist, Muslime und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2015, hat recht, wenn er sagt: „Der Islamismus ist weniger eine Bedrohung für das Christentum, sondern für den Islam selber.“
Was ist mit dir los, christlich geprägtes Abendland? Was ist mit dir los, du auf Jesus Christus Getaufter? Kann es sein, dass Du Gefahr läufst, die Botschaft der Gottes- und der Nächstenliebe auszublenden, die Botschaft göttlicher Barmherzigkeit?
Es tut gut, wenn Papst Franziskus als Mahner aus einer anderen Welt unser Gewissen mahnt. Inzwischen gibt es zahlreiche Cartoons, die die überzeugende Weite gelebten christlichen Glaubens des Papstes widerspiegeln. Eine Karikatur davon wirkt auf mich ganz besonders. Vor einem Kirchenportal ermahnt ein Küster Papst Franziskus, dass die hl. Messe gleich zu beginnen habe. Er aber, der Heilige Vater, lässt sich nicht beirren. Er sitzt vor dem Kirchenportal mit Obdachlosen und Gestrandeten zusammen, und zwar gesellig bei Brot und Wein. Nach der Ermahnung durch den Küster wird Papst Franziskus gelassen erwidern: „Bin schon dabei!“
Will heißen: für den Papst hat der Gottesdienst bereits begonnen. Als konkrete Wirklichkeit passt zu diesem Cartoon, dass vor einiger Zeit Papst Franziskus selber unter den Kolonnaden des Petersplatzes einen Friseur und ebenso auch Duschen mit Seife für Obdachlose einrichten ließ.
Seife nutzt nur, wenn sie angewendet wird. Nicht anders ist es mit dem christlichen Glauben. Dieser will segensreich für die Menschen angewandt werden. Vor dem Hintergrund des Pfingstfestes hören wir die mahnende Frage des Heiligen Vaters: „Was ist mit dir los, du auf Jesus Getaufter? „Weißt du nicht, dass du ein Tempel des Heiligen Geistes bist?“, würde der Apostel Paulus hinzufügen (vgl. 1 Kor 6,19). Lasst uns nicht verschanzen und zurückziehen. Lasst das Christentum mit der Gabe des Heiligen Geistes zum Segen werden für alle, die der Hilfe bedürfen.
Pfarrer Wolfgang Guttmann