Liebe Schwestern und Brüder,
zum Muttertag gilt allen Müttern und Großmüttern ein herzlicher und lieber Segensgruß. Einige Frauen werden gewiss auf eine Würdigung an diesem Tag verzichten wollen. Andere wiederum finden es angemessen, überhaupt einen Muttertag zu begehen. Jede Frau, jede Mutter wird am besten wissen, wie sie mit einem solchen Tag umgeht. Der Idealfall wäre, jeder verantwortungsbewussten und liebevollen Mutter nicht nur an einem solchen Tag jene Anerkennungen und Dankbarkeiten entgegen zu bringen, die ihr gut tun.
Verwehrungskulte zu Ehren von Mutterschaft gibt es bereits seit der Antike. Hierin besteht eine lange Tradition. In seiner heutigen Form ist der Muttertag aus der christlichen Frauenbewegung hervorgegangen. Um sich über aktuelle Fragen zu verständigen, schlossen sich in Nordamerika im 19. Jh. getaufte Mütter zusammen. Es entstanden sinnvolle Friedensinitiativen. So wollten beispielsweise Mütter ihre Söhne nicht vorzeitig verlieren durch einen grausamen Tod auf dem Schlachtfeld.
Anfang des 20. Jh. wurde der Muttertag auch in Europa bekannt und wurde begangen. Schon bald erhielt er jedoch einen anderen Akzent. Wegen aufkommender Kommerzialisierung entstand zunehmende Kritik. Selbst Initiatorinnen der Frauenbewegungen hätten ihn, da der Muttertag keine politische Botschaft mehr beinhaltete, am liebsten wieder abgeschafft. Das Bemühen blieb erfolgslos. Der Muttertag blieb und bleibt ein fester Gedenktag und besitzt, jeweils am 2. Sonntag im Monat Mai begangen, nunmehr weitgehend den Charakter eines Familientages.
Frauenleben sind vielfältig. Jede Frau geht anders mit dem Muttertag um. Die Akzeptanz eines solchen Tages hängt gewiss auch davon ab, wie jemand das Wesen seiner eigenen Mutter erfährt bzw. erfahren hat. So wie es bei den Vätern verantwortungslose Männer gibt, so gibt es auch unter den Frauen solche und solche Mütter. Wer aber, so wie ich, viele erinnerungswürdige Erfahrungen mit seiner Mutter machen durfte, wird gewiss bejahend mit einem solchen Gedenktag umgehen können.
Als Theologe und Seelsorger kommt mir in den Sinn, dass Mutterschaft keine Idee der Menschen ist. Gott selber ruft sie ins Leben. Es ist seine Schöpfung. Mutterschaft ist Ausdruck göttlicher Ideenfülle. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der keine Mutter hätte. Auf diese Idee kann nur Gott kommen. Fortpflanzung des Lebens ist mehr als Weitergabe von Genen. Unser Leben ist zugleich das Erfahren von Empfindungen, von Zärtlichkeiten, von Gefühlen. Auf diese geniale Idee kann nur Gott selber kommen, der Gott, der die Liebe in grenzenloser Weite und Fülle ist.
Und um noch was drauf zu setzen: um seinen Sohn aus Liebe zur Welt (vgl. Joh 3,16) Mensch zu werden zu lassen, setzt Gott in Maria auf das Zutun einer Frau. Gott würdigt so jede Mutterschaft, ja er heiligt sie. Maria zu betrachten als die „Gottesgebärerin“, als die „Mutter Gottes“, ist daher der nicht zu überbietende Gipfel eines Verehrungskultes von Mutterschaft.
Biblische Befunde im Lukasevangelium belegen, wie Maria alles tut, als verantwortungsbewusste Frau und Mutter ihren Sohn ins Leben zu führen. Als bereichernd und ermutigend wird Jesus die Liebe seiner Mutter erfahren haben. Marias sorgende Mutterliebe begleitet ihn bis zum schmerzvollen Kreuzigungstod. Mutterliebe prägt. Mütterliche Sorge und Liebe prägte auch den Werdegang und den Lebensweg ihres Sohnes, unseres Erlösers.
Frauenleben sind vielfältig. Wieviel Liebe verträgt ein Mensch? Wieviel Liebe braucht ein Mensch? Es gibt gewisse eine überzogene Mutterliebe, die in ihrer Überschwänglichkeit Schutzbedürftige nicht zur Entfaltung kommen lässt. Es gibt aber auch Mutterherzen, die in ihrer Güte echt sein wollen, dies aber wegen belastender Erfahrungen nicht weitergeben können. „Auch Frauenherzen können nicht nur geben. Frauenherzen benötigen Zuspruch, Ermunterung und ein Umfeld, in dem sich ein Frauenleben wohlfühlt“ sagte vor kurzem eine Teilnehmerin während einer öffentlichen Veranstaltung. Vor dem Hintergrund verletzender Demütigungen von Frauen in vielen Teilen der Welt, einhergehend mit Anwendungen erniedrigender Gewalt, ergänzte die Gesprächsteilnehmerin: „Ich möchte jeder Frau der Welt wünschen, nur dann Mutter zu werden, wenn sie selber innerlich dazu „Ja“ sagen kann.“
„Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38) wird die junge Maria jenem Engel antworten, der ihr die Menschwerdung und die Geburt des Erlösers ankündigt. Gott selber ist es, der achtsam und ehrfürchtig mit dem empfindsamen Leben einer Frau umgeht. Wenn Gott so vorbildlich ist, dann dürfen Menschen auch unserer Zeit es ihm gleichtun.
Pfarrer Wolfgang Guttmann