Wenn jemand mit der Frage auf Sie zukäme: „Woran erkennt man einen Christen?“ Was würden Sie darauf antworten?
Vielleicht: Einen Christen erkennt man daran,
– dass er sonntags zur Kirche geht,
– dass er im Kloster lebt,
– dass er ein Kreuz als Kette um den Hals trägt,
– dass er Kirchensteuer zahlt.
Es könnte noch weitere Antworten geben.
Jesus weiß auf die Frage, woran man einen Christen erkennen wird, eine eigene Antwort zu geben: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.”
Und Jesus ergänzt: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“
Diese Aussage Jesu hat es in sich – sie wirft Fragen auf und macht nachdenklich.
Zunächst: Was ist an diesem Gebot der Liebe eigentlich neu? Ein neues Gebot gebe ich euch, heißt es im heutigen Evangelium. Aber ist das wirklich etwas Neues, was Jesus seinen Jüngern aufgibt? Jeder kennt wohl die Stelle aus dem Alten Testament im Buch Levitikus, wo es heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst“ (Lev 19,18).
Also doch nur alter Wein in neuen Schläuchen?
Mitnichten – denn Jesus verschiebt den Maßstab dieser Liebe ganz gewaltig. Der Maßstab der Liebe zum Nächsten ist nicht die eigene Person („wie dich selbst“), sondern der Maßstab ist die Liebe Gottes („wie ich euch geliebt habe“).
Wenn man sich die Tragweite dieses Gebotes vor Augen führt, möchte man im ersten Augenblick vielleicht schier verzweifeln. Denn was macht denn die Liebe Gottes im Letzten aus? Das Johannesevangelium bringt es auf den Punkt: „Es gibt keine größere Liebe als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15,13).
In diesem Tod am Kreuz verdichtet sich die Liebe Gottes.
Wenn das neue Gebot der Liebe die Hingabe bis zum Tod am Kreuz bedeutet, wie können wir als Christen dann nach dem neuen Gebot heute leben?
Die Liebe Jesu zeigt sich im Äußersten in der Hingabe bis zum Tod am Kreuz, aber im Übrigen auch in vielen Facetten: Jesus war ein Freund der Kinder, er ging auf die Aussätzigen und Kranken zu, er hat Kranke geheilt und Sündern vergeben, er hat die am Rande der Gesellschaft stehenden Menschen wie den Zöllner Zachäus wahrgenommen und mit ihnen gegessen, er hat den Jüngern die Füße gewaschen. Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.
Diese von Jesus vorgelebte Liebe, die können wir sehr wohl zum Maßstab unserer Liebe zum Nächsten machen. Und auch Papst Franziskus ruft uns mit dem Jahr der Barmherzigkeit die Werke der Barmherzigkeit in Erinnerung: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene besuchen und Tote bestatten. Anlässe, in diesem Sinne barmherzig zu handeln, gibt es genügend.
Warum gibt Jesus seinen Jüngern dieses neue Gebot auf? Der Kontext, in dem Jesus dieses Gebot an seine Jünger richtet, ist die Zeit unmittelbar vor seinem Kreuzestod. In dem Wissen, dass er bald den Tod am Kreuz sterben wird, trägt Jesus den Jüngern auf, wie sie sich nach seinem Tod verhalten sollen: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Jesus überträgt den Jüngern und damit auch uns als Christen Verantwortung, wie wir auf dieser Erde leben sollen.
Uns allen wünsche die Kraft, dass wir unser Leben mehr und mehr nach dem neuen Gebot Jesu auszurichten vermögen.
Björn Mönkehaus