Liebe Schwestern und Brüder,
vielleicht geht es Ihnen auch so: das Evangelium über die Hochzeit zu Kanaa (Joh 2,1-12) wirft bei Hörern eine Reihe von Fragen auf. Einige möchte ich Ihnen nennen:
Was will Jesus mit seinem Besuch der Hochzeitsgesellschaft bewirken? Er vollzieht keine Hochzeitszeremonie, er segnet nicht die Brautleute, hält keine Rede über Sinn und Einheit der Ehe, warnt nicht vor Gefahren der Trennung. Sein ausschließlicher Beitrag, so der Befund der Bibel, ist das Weinwunder. Das ist schon erstaunlich und macht nachdenklich.
Humorvoller ist da die Antwort eines Schülers auf die Frage einer Lehrerin, was die Leute sich wohl bei dem Wunder Jesu, fast 600 Liter Wasser in Wein zu verwandeln, gedacht haben? Ein Schüler sagt darauf ganz unbefangen: Die Leute dachten bestimmt, diesen Jesus laden wir beim nächsten Mal wieder ein.
Bemerkenswert finde ich da auch die Frage von Navid Kermani. Im letzten Jahr bekam der Orientalist den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. In seinem vielbeachteten Buch „Ungläubiges Staunen“ stellt der Islamforscher die nachvollziehbare Frage: Welcher Mann im besten Alter geht denn mit seiner Mutter zu einer Hochzeitsfeier? Normalerweise nimmt ein junger Mann seine Freundin mit. Und wenn er keine hat, dann geht er aber auf keinen Fall zur Feier mit seiner Mutter.
Und dann Maria: Wer die Begebenheit der Hochzeit zu Kanaa liest und dabei die Beteiligung der Mutter Jesu betrachtet, mag sich darüber verwundern, dass ausgerechnet Maria feststellt, dass die Leute nichts mehr zu trinken haben. Die Hochzeitsgäste scheinen noch nicht genug abgefüllt zu sein, da fehlt noch was. Ausgerechnet Maria soll für eine ausgelassene Hochzeitsstimmung sorgen?
Fragen über Fragen. Verständlicherweise suchen wir nach Antworten vor dem Hintergrund der Erfahrungswelt von heute. Und was wäre festzustellen? Hochzeitsfeiern dauern heute längst nicht so lange wir früher. Während es bei uns heute eher eine Angelegenheit von Stunden ist, waren Hochzeitsfeiern früher eher eine Angelegenheit von Tagen.
Geblieben ist der Versuch der Eltern, direkt oder indirekt auf die Partnerwahl ihrer Kinder Einfluss zu nehmen. Diesen Einfluss kann man jedoch nicht vergleichen gegenüber früheren Zeiten. Eltern sprachen sich jeweils ihre Kinder zu. Von der Elterngeneration wurde festgelegt, wer wen zu heiraten hatte. Das war auch so zur Zeit Jesu. In Palästina herrschte so etwas wie ein Vaterrecht. Der Vater war das Sippenoberhaupt. Die Mitglieder der Familie waren ihm unterstellt. So konnte er über sie verfügen wie sein Eigentum.
Mit dem Auftreten Jesu beginnt eine neue Einschätzung im Verhältnis zwischen Mann und Frau. Jesus war in seinen gut 30 Jahren zwar nie verheiratet, aber in Sachen partnerschaftlichem Umgang zwischen Mann und Frau verstand er schon eine ganze Menge. Bei Jesus sind zwar keine Worte auszumachen wie: „Wenn zwei sich mögen, wenn zwei sich lieben, dann sollen sie heiraten.“ Das finden wir so in den Evangelien nicht.
Wohl aber findet Jesus die damalige Praxis der Ehescheidung unerhört. Denn eine Scheidungsurkunde durfte nur der Mann ausstellen, nie die Frau. Jesus nimmt die Welt der Frau stets in Schutz. Bei Jesus kommen die Frauen immer gut weg. Bei den gegenwärtigen Übergriffen auf Frauen, wir bekommen es in diesen Tagen beschämender Weise mit, ein hochbrisantes Thema. Zudem erweis sich Jesus als ein Anwalt für Verlässlichkeit und Treue, weil Gott selber treu ist.
Auch wenn Jesus nie verheiratet war, so gibt es auch heute Paare, die ihr Leben bewusst in Verbindung bringen mit Jesus. Auch in diesem Jahr bitten eine ganze Reihe von Brautläuten um den Empfang des Sakramentes der Ehe.
Ob sakramental geschlossene Ehen besser halten und intensiver gelebt werden als andere? Man möchte es wünschen. Vielleicht gibt es dazu statistische Erhebungen. Aktuelle Umfragen belegen zudem, dass auch heute die Sehnsucht nach einer verlässlichen Partnerschaft enorm groß ist. Der Empfang des Sakramentes der Ehe will beiden Partnern tatsächlich jene schöpferische Kraft geben, fantasievoll mit ihrer Liebe umzugehen, indem sie Tag für Tag immer wieder neu um die Liebe des Partners werben.
Übrigens gehörte das Trinken von Wein zu einer jüdischen Hochzeitsfeier dazu. Wenn der Ehevertrag verlesen wurde, tranken die Brautleute Wein aus ein und demselben Kelch. Der eine Kelch symbolisiert den gemeinsamen Ehebund, den beide nun eingegangen sind. Können wir Christen verstehen, wenn Jesus uns seinen Kelch reicht, dass auch hier von einem Bund die Rede ist? Gemeint ist der Bund, den Gott in seinem Sohn mit uns schließt. Es ist ein verlässlicher, ein ewiger Bund. Und dieser Bund besitzt ein konkretes Motiv, hat einen konkreten Inhalt: seine göttliche Liebe.
In ihrem Herzen hat Maria, die Mutter Jesu, dieses offenbar verstanden. Daher ihre Aufforderung an die anwesenden Hochzeitsgäste: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Gewaltige Mengen Wein werden durch Jesus bereitgestellt. So unvorstellbare Mengen, dass der hl. Kirchenlehrer Hieronymus (347-420) hinsichtlich des Wunders von Kanaa ausdeuten wird: Riesengroß ist die durch Jesus bereit gestellte Menge an Wein. Ich bin fest davon überzeugt, von dieser Fülle des Weines trinken wir noch heute.
Pfarrer Wolfgang Guttmann