Liebe Schwestern und Brüder,
Christsein – was bedeutet das? Ist Christsein mehr als Menschsein? Was ist das Besondere am Christsein? Diese Fragen sind nicht neu. So fragte bereits im 2. Jh. in einem Brief eine interessierte Person, die mit dem Namen Diognet wiedergegeben wird. Von seinem für uns bis heute unbekannten christlichen Brieffreund erhält er eine bemerkenswerte Antwort: „Christen sind Menschen wie die übrigen. Sie unterscheiden sich nicht von den anderen nach Land und Sprache. Sie bewohnen keine eigene Stadt, folgen den jeweils einheimischen Gesetzen in Kleidung, Nahrung und im übrigen Leben. Wie sie jedoch zu ihrem Leben als solchem stehen und es gestalten, darin zeigen sie erstaunliche und, wie alle zugeben, unglaubliche Besonderheiten. Christen wohnen zwar in ihrer Heimat, sind aber wie Zugereiste aus einem anderen Land. An allem haben sie teil wie Bürger, ertragen aber alles wie Fremde. Sie sind im Fleisch, leben aber nicht nach dem Fleisch. Sie weilen auf der Erde, ihre Heimat aber haben sie im Himmel. Um es kurz zu sagen: Was die Seele im Leib ist, das sind die Christen in der Welt. Die Seele wohnt zwar im Leib, aber sie ist nicht vom Leib. Christen leben sichtbar in der Welt und sind doch nicht von der Welt.“
An diesem 7. Ostersonntag hören wir die Worte Jesu über seine Jüngerinnen und Jünger: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16). Der Verfasser des Diognetbriefes gibt genau das wieder. Christsein bedeutet demnach, für die Wirklichkeiten des Lebens einen eigenen Blickwinkel haben, eine eigene Deutung des Lebens.
In der Welt, aber nicht von der Welt sein – durch diese Kurzformel sind zwei Dinge ausgeschlossen: Flucht vor der Welt ebenso wie Verabsolutierung der Welt. Die Welt ist daher noch nicht der Himmel, zugleich muss die Welt aber auch nicht die Hölle sein. Christsein bedeutet: sich in der Welt engagieren und damit zur besseren Gestaltung des Lebens beitragen.
Das II. Vatikanische Konzil, welches in diesem Jahr vor 50 Jahren feierlich beendet wurde, brachte wunderbare geistliche Gedanken hervor. Einer davon ist dieser: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (Pastoralkonstitution Gaudium et Spes).
Christsein ist etwas Spannendes und erfordert einen Balanceakt:
Sich einmischen in diese Welt – sich aber auch nicht mit ihr vermischen;
sich einlassen – sich aber nicht total verlassen auf sie;
die Welt wahrnehmen – sie aber nicht als letzte Wahrheit verstehen wollen;
sich nicht aufs Jenseits vertrösten lassen – genauso wenig im Diesseits bereits alles erreichen wollen.
„Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“. Jesus gibt uns den Weg des Christseins vor. Wie setzen Sie gelebtes Christsein um?
Pfarrer Wolfgang Guttmann