Liebe Schwestern und Brüder,
kann man Liebe anordnen, befehlen? Liebe im Sinne von Engagement, Hingabe, Opferbereitschaft? Jesus tut das. Er sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten wie dich selbst“ (Matthäusevangelium 22,37-39).
Jesus drängt also auf das Befolgen des Gebotes der Liebe. Wie gehen wir damit um? Einerseits sträuben wir uns, weil wir das Anordnen von Liebe für eine echte Zumutung halten. Anderseits mag bei uns die Einsicht wachsen, dass eine Welt, wo eine gegenseitig zuvorkommende Liebe das Maß aller Dinge ist, eigentlich der Idealfall wäre. Jesus weiß: wenn alle Menschen auf der Welt sich an seinen Worten der Liebe orientieren würden, dann bräuchten wir keine Gerichtsbarkeit, wir bräuchten noch nicht einmal die Zehn Gebote. Die Liebe ist tatsächlich das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht (vgl. Kol 3,14).
Wer wie die Kirche regelmäßig das Wort Gottes verkündet und von der menschgewordenen göttlichen Liebe spricht, muss sich nicht wundern, wenn sie selbst danach gefragt wird, wie sie es mit ihrer Liebe im Geist der Nächstenliebe zu den ihr anvertrauten Menschen hält, beispielsweise gegenüber wiederverheiratet Geschiedenen. Oder auch der Umgang mit jenen Frauen und Männern, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zusammenleben. Wie geht die Kirche mit ihnen um?
Während der in Rom von Papst Franziskus einberufenen Synode hätten sich viele, auch ich, eine größere Öffnung der Kirche gewünscht. Die vielen ermutigenden Signale, die dennoch von Rom unüberhörbar ausgingen, werden weiter zu verfolgen sein: Kirche hat sich nicht mehr ausschließlich darstellen als ein Gebilde von dogmatischen Lehrsätzen. Kirche hat näher bei den Menschen zu sein und dem, was hoffnungsvoll an ihnen ist. Bereits der in diesem Jahr heiliggesprochene Papst Johannes XXIII. (1958-63) schrieb der Kirche während des letzten Konzils (1962-65) ins Stammbuch: „Es geht heute nicht darum, die Waffen der Strenge zu benützen, sondern die Medizin der Barmherzigkeit.“
Wenn wir als Christen die göttliche Liebe als eine sich verschwendende und versöhnende Liebe verstehen, dann spüren wir auf dichteste Weise den geistlichen Atem Jesu. Seiner Liebe folgen wollen wir allein deswegen, weil er sie selbst bis hin zum Kreuz eingelöst hat: “Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34).
Kann man diese Liebe anordnen, befehlen? Zumindest wäre darüber nachdenken, wie es bei einem jeden von uns mit der sich verschenkenden Liebe bestellt ist. Mit dem hl. Augustinus (354-430) gibt es übrigens noch einen, der eine sich aufopfernde Liebe zu gern allen anempfehlen möchte. Seine Anordnung: „Liebe – und dann tue, was du willst …“. Man muss lange darüber nachdenken, was der Kirchenlehrer und Philosoph damit meint. Vielleicht macht jeder das mal für sich und versucht mal zu ermessen, was dieses erstaunliche Wort für ihn bedeutet …
Pfarrer Wolfgang Guttmann