Hinter dem Pfarrhaus von Elmshorn gibt es eine kleine Terrasse. Infolge der regnerischen Monate März und April erobert sich wild wachsendes Grün diesen Ort. Lange Schlingpflanzen haben sich über den Boden gebreitet und das wuchernde Efeu lässt den Zaun, an dem es hängt nur mehr erahnen. Ein besonders großes Strauchgeflecht an der Terrassentür verhinderte in den letzten Wochen fast das Hinaustreten. Umso erstaunter war ich, als sich gerade dieses Gewächs, das meine Aufmerksamkeit bislang kaum erreicht hatte, sich in den letzten Tagen als etwas ganz Besonderes herausstellte. Seine Zweige begannen zu knospen und enthüllten seine wahre Natur, als sich aus diesen Knospen wunderschöne pfirsichgelbe und zartrosa Rosenblüten entwickelten. Seither stehe ich staunend vor ihm, wohl wissend, dass sich die Blüten bald wieder zurückbilden werden und nichts bleiben wird als ein grünes Gewächs.
Mit dem Fronleichnamsfest ist es ähnlich. Es kommt für mich immer unverhofft. Wie der vergessene Rosenstrauch blüht es kurz auf und vergeht wieder. Seine Blüten sind genauso unerwartet wie bizarr. Sie erinnern an eine Schönheit zugleich zeitlos wie immer schon vergessen scheinen. Das Fest beschwört eine untergegangene Welt und trägt sie in die Gegenwart. Es entstand im hohen Mittelalter in Folge einer Glaubenskrise. War Christus tatsächlich im Altarsakrament gegenwärtig? War es richtig, die Eucharistie anzubeten? Dem Zweifel begegnete man mit einem Bekenntnis. Man brachte die Eucharistie, dieses selbstverständliche, täglich gefeierte und dennoch oft nachlässig behandelte Sakrament zum Blühen. Man kleidete die Hostie in einen kostbaren Schrein, die Monstranz. Man umgab diese mit allem, was die gottesdienstliche Pracht zu bieten hatte, mit Gold, Edelsteinen und kostbaren Stoffen. Man trug es in langen Prozessionen über blumengeschmückte Straßen zu festlicher Musik durch die Straßen. Hier, so die Botschaft, ist etwas Verborgenes augenfällig geworden. Die unsichtbare Gnade, das Dasein Gottes in der Welt unter dem Zeichen des Sakraments wird sichtbar bebildert. So groß und kostbar ist dies Geheimnis, das aller Glanz der Welt kaum ausreicht um es sinnlich anzuzeigen. So konzentrierte sich das Fest zu seiner Blüte im Barock auf die Epiphanie, das Erscheinen Christi auf unseren Straßen in Kerzenschein, Blumenpracht und Weihrauchduft. Hier ging es nicht um ein Verstehen, sondern um ein Erahnen, das dem Betrachter nichts anderes übrigließ, als ehrfürchtig auf die Knie zu sinken.
Wenn das Fronleichnamsfest jetzt auf uns kommt, bringt es den Glanz dieser vergangenen Zeit noch mit sich, auch wenn die Welt um es herum keinen Sinn mehr für ihn hat. Das Fest erscheint als Anachronismus, der Vergangenes erzählt. Es ist wie ein alter handgeschriebener Brief, eine Schwarzweiß-Fotografie, eine Brosche mit rotem Granat, ein gestärktes Leinentischtuch oder ein altes Tafelsilber. Es gehört zu den Dingen, die es kaum noch gibt. Aber wenn wir sie in der Hand halten sind wir doch bewegt oder ergriffen von einer gewissen Nostalgie: „Es wäre doch ganz schön, gäbe es das öfter“. Man kann dieses Fest nicht modernisieren. Man kann es auch nicht mit dem Kopf erfassen, es braucht doch das Gefühl. Wir sind es nicht mehr gewohnt, irrational zu sein. Wir wollen das schöne Staunen gleich erklären oder ironisieren es. Ein falscher Anfall von Vergangenheit in einer Zeit, die mit sich selbst genug beschäftigt ist. Dabei geht es heute wie damals um das Gleiche. Man kann e in ganz kurzen Sätzen beschreiben: Es ist schön, an Gott zu glauben. Es ist schön, dies in der Kirche zu tun. Es ist schön, sich in das göttliche Licht der Gnade zu stellen. Es ist schön dem gegenwärtigen Herrn das Herz zu öffnen. Es ist schön zu schauen. Und es ist schön, dass es jemand gibt, vor dem wir in Ehrfurcht niederknien dürfen. Das ist die eigenartige Blüte des Fronleichnamsfestes. Es geht wieder vorbei. Aber für den Moment dürfen wir uns in dieses Fest fallenlassen.
(Pfarrer Dr. Georg Bergner)
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