Liebe Schwestern und Brüder,
bei aller Breite der Verkündigungen innerhalb der Kirche, scheint mir ein Bereich zu kurz zu kommen. Wir sprechen viel über Gott, er steht natürlich im Mittelpunkt unserer Verkündigung. Wir sprechen viel über den Menschen, denn zu unserem Heil ist Gott Mensch geworden. Wir sprechen auch viel über die Heiligen, die mit der Gabe des Heiligen Geistes viel Erbauliches in die Welt getragen haben. Was m. E. jedoch Gefahr läuft, zu kurz zu kommen, ist die Welt der Engel. Dabei möchten wir sie nicht missen, wir mögen sie. Wir ahnen, dass in der Lebensgeschichte eines Menschen die Engel weitaus mehr sein wollen als eine rührselige Verzierung.
„Engel, wer seid ihr?“ fragt Rainer Maria Rilke (R. M. Rilke (1875-1926) in einem seiner bekannten Werke. Ihn entzückt die Erfahrung des Geheimnisvollen. „Engel, wer seid ihr?“ könnten auch wir fragen, wenn wir das Wort „Engel“ verwenden. Der Gedanke liegt beispielsweise nahe, beim niedlichen Erscheinungsbild eines Kindes zu sagen „Es sieht ja aus wie ein Engelchen“. Oder wenn jemand überraschender Weise aus einer Notsituation befreit wurde, der Betreffende gegenüber seinem Helfer äußert: „Du warst mein rettender Engel.“
Wie ordnen wir die Engelvorstellungen ein? Es gibt Menschen, die sagen: Der Glaube an Engel ist eine Form des Geisterglaubens, wie ihn viele andere Kulturen und Völker auch kennen. Andere sagen: das religiöse Denken möchte zwischen der Gottheit auf der einen sowie der Menschheit auf der anderen Seite noch ein Bindeglied einfügen, welches zwischen der göttlichen und der irdischen Welt vermitteln soll. Die Engel stünden halt eben höher als der Mensch, aber tiefer als Gott.
Und wie ordnet Jesus die Engelwelt ein? Jesus redet einfach deswegen von den Engeln, weil es die Welt der Engel gibt, nicht mehr und nicht weniger. Wenn schon im Alten Bund die Welt der Engel als selbstverständlich betrachtet wird, so ist es bei Jesus nicht anders. Die Welt der Engel ist unlösbar mit dem Leben Jesu verbunden.
Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Der Erzengel Gabriel teilt dem Tempelpriester Zacharias mit, dass seine in die Jahre gekommene Frau Elisabeth noch einen Sohn zur Welt bringen wird. Er wird den Namen Johannes tragen, Johannes der Täufer (Lk 1,11-19). Derselbe Engel bringt Maria die Botschaft von der Menschwerdung Gottes indem der Engel zu Maria sagt: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären. Ihm sollst du den Namen Jesus geben“ (Lk 1,26-38)
Oder die Engel verkünden in Bethlehem den Hirten die frohe Botschaft der Geburt Jesu (Lk 2,8 ff). Oder nachdem Jesus in der Wüste die Szene der Versuchung überstanden hatte, heißt es im Matthäusevangelium: „Engel kamen und dienten Jesus“ (4,11). Engel sind eingebunden in das Geschehen der Auferstehung Jesu (Mt 28,1 ff). Und nach der Himmelfahrt Christ sind es Engel, die den Jüngern verkünden, was sich ereignet hat und was sie tun sollen (Apg 1,10).
Für die hl. Hildegard von Bingen (1108-79) sind Engel Lichtgeister der Sehnsucht. Engel sind ergriffen in ihrem Sehnen, sich ganz auf die Betrachtung des Willens Gottes auszurichten. So ist jeder Engel makellos und vollkommen in seiner Gesinnung und damit Gott ganz nah. Doch lässt die große Mystikerin in ihren Werken keinen Zweifel aufkommen, dass die Welt der Engel nicht als ein abgeschlossener Jenseitsbezirk zu betrachten ist. Die Welt der Engel reicht in das Leben des Menschen hinein. Gott bestimmte, so schreibt sie, selige Engel-Geister zur Ehre seines Namens sowie zum Heil des Menschen.
Gut, dass wir im Laufe des Kirchenjahres an die Welt der Engel erinnert werden. Am 02. Oktober feiert die Kirche das Schutzengelfest. Dass jeder Mensch seinen eigenen persönlichen Schutzengel hat, ist allgemeines Frömmigkeitsgut der Kirche. Einige Tage zuvor, am 29. September, erinnert sich die Kirche an die Erzengel Gabriel, Raffael und Michael. Die hl. Schrift macht auch über diese Engel reiche und tiefe Aussagen.
Vieles von den biblischen Glaubensaussagen fließt in die Feier der hl. Liturgie ein. Beispielsweise bei Begräbnisfeiern, wenn in einem alten christlichen Hymnus dem Verstorbenen zugesprochen wird: „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten. Die Chöre der Engel mögen dich empfangen.“ In seinem Sterben fällt der Gläubige also nicht in ein Nichts, sondern wird getragen dorthin, wo er bereits erwartet wird.
Oder auch in der Feier der hl. Messe, wenn wir singen: Heilig, heilig, heilig …“ Dieser Ruf zur Ehre der Größe Gottes ist entnommen der Berufungsvision des Propheten Jesaja. Er vernahm die Engel, wie sie im Himmel einander zuriefen: „Heilig, heilig, heilig, von Gottes Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt“ (Jes 6,1-3).
Es überwältigt mich regelmäßig neu, wenn wir während der Feier der hl. Eucharistie in diesen Gesang der Engel einstimmen dürfen, wenn es heißt: „Mit dem Lobgesang der Engel lass auch unsere Stimmen sich vereinen und voll Ehrfurcht rufen: Heilig, heilig, heilig.“ Der Gesang eines jeden einzelnen, und sei er noch so kläglich, darf einstimmen in den Chor der Engel. Gibt es für uns Menschen etwas Erhabeneres?
Wer seid ihr ihr Engel? Die Engel sind uns näher, als es uns oft bewusst ist. Sie wollen tatsächlich nichts anderes, als Gott die Ehre geben und uns in unserer Lebensgeschichte hilfreich zur Seite stehen. In einer Strophe eines Engelliedes heißt es daher:
Den Engel lasst uns preisen,
der wie ein Bruder still
auf Erden mit uns reisen
und uns behüten will.
Er schaut in ewgen Freuden
das abendlose Licht
und will auch uns geleiten
vor Gottes Angesicht.
(Pfarrer Wolfgang Guttmann)
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