Streit! – Streit in der Gemeinde, in der Kirche!? – Nein, unmöglich. In der Kirche, da lenkt und regelt die Liebe doch alles – möchte man wünschen. Die Erfahrung zeigt uns, dass das mit dem lieben Frieden auch in der Gemeinde oder in der Kirche nicht „einfach so“ funktioniert. Und dann gibt es einen enttäuschten Aufschrei: „So etwas in der Kirche! Wie die miteinander umgehen, das ist ja wie in der Politik.“ Oder: „Das hätte ich von dem nicht erwartet, der geht doch jeden Sonntag in die Kirche!“ Es ist eine Tatsache – auch Christen verhalten sich falsch, machen Fehler und streiten. Und das scheint keine Erscheinung der heutigen Zeit zu sein. Aus dem Evangelium erfahren wir, dass Menschen auch in christlichen Gemeinden schuldig werden, seit es die Kirche gibt.
Streiten, nicht einer Meinung sein, aneinander schuldig werden – das gehört wohl zu unserem Menschsein dazu. Die Frage ist, wie wir mit solchen Situationen und miteinander in solchen Situationen umgehen.
Die alle kennen die Redewendung „jemanden an den Pranger stellen“. Der Pranger war eine Säule oder eine Plattform, an der ein Verurteilter gefesselt und öffentlich vorgeführt wurde. Die Strafe bestand vor allem in der öffentlichen Schande, welche der Verurteilte zu erdulden hatte und die vielfach ein „normales“ Weiterleben in der Gemeinschaft unmöglich machte oder sehr erschwerte.
Diese Form des Pragers gibt es heutzutage gottlob nicht mehr. Aber dennoch bestehen in der heutigen Zeit ähnliche Formen der öffentlichen Vorführung: In den Medien werden tatsächliche oder vermeintliche Straftäter, teilweise mit Bild oder Angabe des Namens zur Schau gestellt. In den USA werden von Behördenseite Listen von Straftätern mit vollem Namen, Anschrift und Foto veröffentlicht. Auch wir stellen Mitmenschen nach einem Streit mitunter „an den Pranger“: indem wir schlecht über eine Person reden – in der Familie, im Freundes- oder Kollegenkreis.
Ob dies ein sinnvoller Weg zur Konfliktbewältigung, zu Vergebung und Versöhnung ist? Zweifel daran sind berechtigt, ja angebracht.
Aus dem heutigen Evangelium erfahren wir die Sicht Jesu: sie steht dem Pranger genau entgegen: „Wenn dein Bruder [und die Schwester ist natürlich in gleicher Weise gemeint] sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.“
Jesus fordert uns auf, den Streit „unter vier Augen“ zu klären. Und bei diesem Gespräch geht es nicht um Rechthaberei, sondern, so heißt es, darum, jemanden „zurückzugewinnen“. Jemanden zurückgewinnen kann ich aber nur, wenn ich nicht stur auf meiner Position bestehe, sondern wenn ich den anderen überzeuge und dabei auch mein eigenes Verhalten kritisch hinterfrage.
Und Jesus weiß, dass das Aufeinanderzugehen, das Vergeben, das Zurückgewinnen offenbar gar nicht so leicht ist unter den Menschen. Denn wir erfahren im Evangelium auch, wie wir handeln sollen, wenn eine Klärung „unter vier Augen“ keinen Erfolg hat: Es sollen zunächst zwei, drei weitere Personen einbezogen werden und – wenn auch dies nicht zu einer Lösung führt – schließlich sogar die gesamte Gemeinde. Ob tatsächlich „die gesamte Gemeinde“ einbezogen werden soll, kann offen bleiben, jedenfalls aber wird die Angelegenheit aus dem geschützten Kreis zu einer öffentlichen Angelegenheit. Das mutet auf den ersten Blick doch merkwürdig an: Was hat ein Streit in der Öffentlichkeit zu suchen? Ich kann es mir nur so erklären, dass es auch hier nicht darum geht, den vermeintlich Schuldigen zu verurteilen, sondern immer noch darum – so wie es den anderen zurückzugewinnen. Das Bemühen um den anderen steht im Vordergrund.
Schließlich, wenn auch die Einbeziehung der Gemeinde zu keiner Klärung führt, dann, ja, was dann? Dann, so die Worte des Evangeliums, dann sei die Person für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. Mit anderen Worten: die Person kannst du „abschreiben“, sie gehört nicht mehr dazu. Denn schließlich stehen die Heiden und die Zöllner für diejenigen, mit denen keiner etwas zu tun haben will. Aber kann das die Lösung sein? Diese heftige Reaktion als Rat aus dem Munde Jesu??
Es stimmt zwar – die Heiden und die Zöllner, das sind diejenigen, mit denen keiner etwas zu tun haben will. Aber Jesus lässt auch sie nicht fallen: im Gegenteil, wenn wir an die Geschichte mit dem Zöllner Zachäus denken, wird eines deutlich: Jesus kehrt bei Zachäus ein. Die Menge murrt darüber: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“ Aber aufgrund der Zuwendung Jesu ändert Zachäus sein ganzes bisheriges Leben und gelobt vor Gott, die Hälfte seines Besitzes an die Armen zu geben sowie geraubtes Gut vierfach zu erstatten.
Jesus hat Zachäus zurückgewonnen.
Jesus gibt den Menschen, den Sünder, nicht auf. Und so kann auch dies nur ein an uns gerichteter Appell sein, den Menschen, mit dem wir im Streit liegen, nicht aufzugeben oder auszugrenzen, sondern uns immer wieder auf den Weg zu machen, miteinander ins Gespräch zu kommen und uns um Vergebung und Versöhnung zu bemühen. Das kann mitunter harte Arbeit sein und einem viel abverlangen.
Wie kann es überhaupt gelingen, zu vergeben, sich zu versöhnen? Am Ende des heutigen Evangeliums steht ein Satz, den Sie alle kennen: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“
Ich habe diesen Satz für mich neu verstanden. Wenn ich mit dem anderen rede, um einen Streit zu klären – und wenn ich mich mit dem anderen „im Namen Jesu“ versammle, dann ist Jesus mitten unter uns. Ein Gespräch im Namen, im Geiste Jesu, da wo er mitten unter uns ist, ist geprägt vom Geist der Versöhnung und der Vergebung. Mit seinem Wort: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“, sagt Jesus uns zu, dass wir nicht allein in ein solches Gespräch mit dem anderen gehen. Jesus geht mit und ist mitten unter uns. Mit diesem Bewusstsein mag ein versöhnendes Gespräch vielleicht leichter gelingen.
Ich hoffe und wünsche uns, dass Vergebung und Versöhnung unter den Menschen immer wieder möglich wird. Versöhnung und Vergebung setzen Einsicht voraus. Einsicht aber auch bei mir selbst, da wo ich mich schuldig gemacht habe. Darum können wir Gott immer wieder um Einsicht bitten, dass wir alle auf Vergebung angewiesen sind, um Vergebung von Gott und auch untereinander. Wenn wir im Vaterunser beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – wünsche ich uns, dass wir zur Einsicht in unsere eigene Schuld fähig werden und bereit sind, aufeinander zuzugehen und bereit zu Vergebung und Versöhnung sind – auch wenn das nicht immer ein leichter Weg ist.
(Björn Mönkehaus)
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