Liebe Schwestern und Brüder,
für wen hältst du mich? Sie kennen solche Fragestellungen. Sie werden dann gestellt, wenn jemand sich missverstanden fühlt. Man erwartet Klarstellung, damit zwischenmenschliche Beziehungen gelingen können.
Jesus stellt auch so eine Frage: “Ihr aber, für wen haltet ihr mich?” (Mt 16,15)? Ob wir das Motiv erahnen, was hinter dieser Frage Jesu steckt? Denn hier fragt nicht irgendeiner, hier fragt Jesus. Und wenn Jesus fragt, dann will er als Antwort gewiss keine oberflächliche Information. Er kennt uns besser, als wir uns selbst. Wenn Jesus fragt, dann will der Sohn Gottes uns innerlich berühren. Es darf zu einer Reise in die Tiefenschichten unserer Seele werden, um zu ergründen, wie es um die eigene persönliche Einstellung zum Menschensohn, wie Jesus sich selbst nennt, bestellt ist.
Als “Primus inter pares” unter den Aposteln legt Petrus ein klares Bekenntnis ab: “Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes” (Mt 16,16) Dieses Bekenntnis wird Jesus versehen mit einer Beauftragung. Für die Tradition der Kirche wird sie maßgeblich sein. Wer einmal in Rom den Petersdom aufgesucht hat, erinnert sich an die in der Kuppel angebrachten großen Buchstaben. Die Beauftragung des Petrus ist in lateinischen Lettern angebracht: “Tu es Petrus et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam” – “Du bist Petrus – der Fels -, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen” (Mt 16,18). Mit diesen Worten leiten die Nachfolger des Apostels Petrus bis heute ihre geistliche Legitimität ab.
Christusbekenntnisse können Konsequenzen haben. So war es bei Petrus. Es war auch nicht anders bei Johannes, der den Beinamen der Täufer erhielt. An zwei Tagen wird im Laufe eines Kalenderjahres an den großen Propheten in besonderer Weise gedacht: zunächst am 24. Juni als seinem Geburtstagsfest, welches stets ein halbes Jahr vor dem Geburtstag dessen begangen wird, den der Rufer in der Wüste mit seinem Leben ankündigt: Jesus Christus. Dessen
Geburtstag wird bekanntermaßen mit Weihnachten gefeiert. Am 29. August erinnert die Kirche schließlich noch an den Todestag dieses großen Propheten: Enthauptung Johannes’ des Täufers.
Die Rede des Johannes ist in der Bibel angereichert mit einer Reihe von Christusbekenntnissen. In jeder Feier heiligen Messfeier machen wir uns einige zu eigen, so vor dem Empfang der hl. Kommunion: “Seht, das Lamm Gottes, es nimmt hinweg die Sünden der Welt” (Joh 1,29). Jesus muss auf Johannes einen außerordentlichen Eindruck gemacht haben. Gegenüber der Taufe Jesu wird Johannes, der im Volk einen großen Zulauf besaß, sein eigenes Taufwirken dagegen als relativ betrachten: “Ich taufe euch nur mit Wasser als Zeichen der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die
Schuhe auszuziehen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen” (Mt 3,11).
Die Frage “Für wen hältst du mich” hat Johannes der Täufer bereits Jahre vor Petrus beantwortet. Was beim Vorläufer Jesu so überzeugt, ist seine Echtheit. Was er verkündet, das lebt er auch. Dazu gehört auch sein Eintreten für die Einheit der Ehe, was bekanntermaßen letztlich zur Enthauptung Johannes des Täufers (Mt 14,3-12) führte.
Frère Roger (1915-2005), der Begründer der ökumenischen Mönchsgemeinschaft im burgundischen Taize, wird sich in einem Gebet an Jesus wenden, wenn es heißt: “Unablässig fragst Du mich danach, wer Du für mich bist. Lass mich Dir eine Antwort geben, die mir gut tut, mein Leben bereichert und Deine Menschlichkeit und Göttlichkeit ins Wort bringt.”
Was wäre, wenn wir es ebenso machen würden? Es könnte eine Antwort sein, die hervorkommt aus den Tiefenschichten unserer Seele.
(Pfarrer Wolfgang Guttmann)
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