Liebe Schwestern und Brüder,
“Zur letzten Instanz”, so lautete der Name einer Gastwirtschaft in Kiel. Diese Einkehrmöglichkeit lag mitten im Juristenviertel, dort also, wo es regelmäßig zu Rechtsstreitigkeiten kommt. Diese können durchaus durch mehrere Instanzen gehen. Wenn nichts mehr geht, so suggerierte es humorvoll der Name dieser Gastwirtschaft, dann ist da immer noch die vermeintlich letzte Zuflucht: “Zur letzten Instanz”.
Es gibt Leute, die tragen Rechtsstreitigkeiten mit größtem Vergnügen aus. Bei der weitaus größeren Anzahl wird jedoch ein hohes Maß an Unbehagen aufkommen, da Augenblicke auftreten, wo der Mensch zum Wolf wird. Das bekannte Wort Jesu: “Fürchtet euch nicht vor den Menschen, fürcht euch lieber vor Gott” (vgl. Mt 10,26), könnte man daher ebenso umdrehen: “Fürchtet euch vor den Menschen, aber fürchtet euch nicht vor Gott.” Es entspräche ebenso dem Geist Jesu.
Was tun sich Menschen untereinander nicht alles an: Menschen werden betrogen, der Würde beraubt, ihnen wird Gewalt angetan. Vor dem Hintergrund vieler bitterer Erfahrungen wäre es tatsächlich angebracht, zu sagen: “Fürchtet euch vor den Menschen.” Dennoch sagt Jesus genau das Gegenteil: “Fürchtet euch nicht vor den Menschen”.
Tatsächlich aber lag Jesus sehr daran, bis in die Tiefenschichten der Seele peinigende Angstzustände zu nehmen. Der Mann aus Nazareth spielte die Ängste der Menschen nicht herunter, sie sind und bleiben Wirklichkeit, er weiß um die Situation des Menschen. Vor dem Hintergrund der Würde menschlichen Lebens gilt dennoch Jesu Wort: “Fürchtet euch nicht.”
Während des Lebens geht es tatsächlich zu wie bei einem Rechtsprechungsverfahren. Es gibt verschiedene Instanzen die zu durchlaufen sind, die letzte jedoch ist die Entscheidende. Wer in der ersten Instanz nicht Recht bekommt, der geht in die nächsthöhere. Der letzte Urteilsspruch ist jedoch maßgeblich.
Die erste Instanz wäre die der Menschen. Hier muss man tatsächlich mit allem rechnen. Wie oft wird im Kreis der Mitmenschen, auch ohne Beisein eines Juristen, geurteilt. Doch wer will sich anmaßen, ein wirkliches echtes Urteil über einen anderen Menschen abzugeben? Zu komplex sind die Lebenszusammenhänge. Ein wirklich vollkommenes Urteil und eine wirklich vollendete Gerechtigkeit wird es auf Erden nie geben. Mag eine Einschätzung der Gesamtlage und ein damit verbundener Urteilsspruch noch so weise sein.
Die letzte Instanz ist niemand anderes als Gott. Wer nach den Geboten von Glaube, Hoffnung und Liebe lebt, braucht nach den Worten Jesu die göttliche Instanz nicht zu fürchten. Im Gegenteil: bei ihm sind Menschen guten Willens bestens aufgehoben: “Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen” (Mt 10,12), wird Jesus ermunternd sagen. “Bei Gott bin ich geborgen, still wie ein Kind, bei ihm ist Trost und Heil”, werden beispielsweise viele als ihr Glaubensbekenntnis beten und singen.
Der Schluck aus der Pulle wird allerdings als verlässliche letzte Instanz nicht mithalten können. Bereits in den Psalmen wendet sich ein frommer Beter vertrauensvoll an Gott: “Du legst mir größere Freude ins Herz, als anderen haben bei Korn und Wein in Fülle” (Ps 4,8). Gerade in schweren Stunden verleiht der Glaube an das Erbarmen Gottes auch heute unzähligen Menschen stärkende Ermutigung und hoffnungsvolle Zuversicht.
(Pfarrer Wolfgang Guttmann)
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