Liebe Schwestern und Brüder
“Ich bin, weil du bist” lautet die Überschrift des diesjährigen MISEREOR-Hungertuches. Zwei Menschen blicken sich an, berühren sich ruhig und respektvoll über eine Grenze hinweg. Die ausgestreckten Arme liegen auf den Schultern des Gegenüber und nehmen die fremde Farbe an. In diesem Geben und auch Empfangen wächst Beziehung. “Ich bin, weil du bist”.
Alles Leben steht in Beziehung – auf dieser Grundlage ließe sich eine umfassende Geschwisterlichkeit ableiten: Wir alle sind von einem Gott geschaffen, der Väterliches und Mütterliches in sich trägt. Alle Geschöpfe bilden eine einzige Familie. Der Mensch, ja die gesamte Welt besteht aus einem riesigen Gewebe von Beziehungen.
Auch die schöne Geschichte des Evangeliums, die Begegnung Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,5-42), hat etwas mit Beziehung zu tun. Hier begegnen sich zwei Personen aus unterschiedlichen Welten: eine Frau und ein Mann, die sich so noch nie begegnet sind. Sie kommen auch aus unterschiedlichen Lebenskulturen. Die Frau kommt aus Samarien, aus einem Lebensbereich von Menschen, die den jüdischen Tempelkult schon seit vielen Jahrhunderten ablehnen. Während des Gespräches mit ihrem Gegenüber ahnt die Samariterin mehr und mehr, dass ihr Gesprächspartner Jesus eine außergewöhnliche Gestalt ist.
Auffällig ist, wie Jesus ihre Lebensgeschichte kennt, und diese ist nicht ohne Brüche. Gerade, weil sie nicht ohne Brüche ist, geht Jesus behutsam mit der Frau um. Gerade da, wo das Gespräch am schwersten ist, wo die Samariterin am liebsten schweigen möchte, bringt Jesus die ganze Wahrheit ihrer Enttäuschungen ans Tageslicht. Jesus tut es dabei ohne jeden Vorwurf. So fühlt sich die Frau auch nicht gekränkt. Im Gegenteil: sie fühlt sich verstanden, angenommen. Endlich begegnet ihr jemand im Leben in echter Weise. “Ich bin, weil du bist” könnte jetzt auch die Samariterin sagen.
So erstehen positive Lebensgeschichten. Gott hat positiv alles ins Leben gerufen. Gott schuf den Menschen als Mann und als Frau (vgl. 1,27), heißt es im Buch Genesis. Gott segnete sie (1,28), d. h. Gott meint es gut mit ihnen. Und wenn Gott es gut mit ihnen meint, dann mögen die Menschen es ihm nachmachen.
Papst Franziskus ist einer, der positiv über das Leben denkt. Jemand sagte mal: Der Heilige Vater hat eine Freude an der Freude. Kaum ein Papst brachte bisher die Freude so oft in seine Verlautbarungen hinein, wie er. “Evangelii Gaudium” (November 2013), wäre so eine Verlautbarung der Freude, wenn der Anfangssatz heißt: “Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben, die Jesus begegnen”.
Das Charisma der Freude durchzieht diese Schrift ebenso, wie die andere Verlautbarung “Amoris Laetitia” (März 2016). Auch hier ist von der Freude die Rede, wenn es im ersten Satz heißt: “Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche.” Es will ja nichts anderes heißen als “diese Freude ist unser aller Freude”.
Papst Franziskus schreibt: “Nach der Liebe, die uns mit Gott vereint, ist die eheliche Liebe die größte Freundschaft. Es ist eine Vereinigung, die alle Merkmale einer gute Freundschaft hat: Streben nach dem Wohl des anderen, Vertrautheit, Zärtlichkeit, Festigkeit. Doch die Ehe fügt noch die feste Absicht hinzu, das gesamte Leben miteinander zu teilen und aufzubauen.”
Ist es nicht so, wer wirklich echt verliebt ist, fasst nicht ins Auge, dass diese Beziehung nur für eine bestimmte Zeit bestehen könnte? Wer die Freude zu heiraten intensiv erlebt, denkt nicht an etwas Vorübergehendes, sondern denkt daran, dass sie auch die Zeiten der Krise überdauern möge. Kindern geht es ebenfalls nicht anders: auch sie möchten, dass die Eltern sich lieben, einander treu bleiben und immer zusammenhalten.
Für gläubige Christen ist die Ehe ein Bund, der Treue voraussetzt, weil Christus getreu ist. Gut, dass auch in unserer Zeit diese verlässliche Treue gelebt wird.
“Ich bin, weil du bist” – wie viele Paare könnte sich das in überzeugender Weise sagen. Was wäre der eine ohne den anderen. Ich bin, weil du mich angenommen hast; ich bin, weil du mich bestärkt hast; ich bin, weil du mir vergeben hast; ich bin, weil du in mein Leben gekommen bist; und ich bin, weil du mich in dein Leben hineingelassen hast. “Ich bin, weil du bist” – Danke, dass es dich gibt.
(Pfarrer Wolfgang Guttmann)
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