Liebe Schwestern und Brüder,
wie verletzlich und verwundbar doch unser Leben ist, so denken viele nach dem verheerenden Anschlag in Berlin. Gerade an diesen Weihnachtsfeiertagen möchte man zusammenrücken. Den Kummer und die Sorgen jener, die Opfer zu beklagen haben, können wir nur erahnen.
Weihnachten – während andere Gewalt verherrlichen, feiern wir Christen jenen Gott, der sich das Zusammenleben der Menschen ganz anders vorgestellt hat. Wer Gewalt verherrlicht, spielt mit dem Phänomen der Furcht und der Angst. Andere greifen das auf und spielen verhängnisvoll mit.
Die Bibel weiß viel über Furcht und Angst. Die Bibel weiß auch, wie man diesem Unbehagen begegnen kann: durch die Liebe. „Furcht gibt es in der Liebe nicht“, heißt es da. Und dennoch: wir sind furchtbesetzt, wir sind angstbesetzt.
Trefflich zum Ausdruck brachten es in diesen Tagen die Schüler des Elsensee-Gymnasi-ums. Auch in der Schule gibt es Unbehagen. Wer kennt das nicht, wenn jemand bei einer vertanen Klassenarbeit diese schlecht benotet wieder zurückbekommt. Oder wenn man spät abends draußen bei Dunkelheit noch unterwegs ist. Und dennoch setzten die Schüler die Worte des Engels entgegen: „Fürchtet euch nicht.“
Die Stichworte Furcht und Angst verwenden wir oft in ein und demselben Zusammenhang. Fachlich wird da schon unterschieden, wenn bei der Angst das unangenehme Gefühl der inneren Anspannung gemeint ist, bei der Furcht aber eine reale Bedrohung vorausgesetzt wird. Gemeinsam sind den Phänomenen Furcht und Angst: sie treten stets dann auf, wenn gravierende Veränderungen in unser Leben eintreten. Diese Veränderungen werden oft als fremdartig und damit als Bedrohung wahrgenommen.
Veränderungen erlebten wir in unserem Land, erlebten wir auch in unserer Gemeinde, als die vielen Flüchtlinge, die zuvor eine Menge durchmachen mussten, zu uns kamen. Für sie wurde unser Flüchtlingscafé eingerichtet. Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus unserer Gemeinde und darüber hinaus unterstützen diese Anlaufstelle. Viele sagen: dieses Flüchtlingscafé ist wie eine Insel der Seligen. Die wohltuende Atmosphäre, die dieses Flüchtlingscafé ausmacht, trägt mit dazu bei, dass trotz aller Veränderungen solche Phänomene wie Furcht und Angst abgebaut werden konnten. Beim Flüchtlingscafé ist viel vorzufinden an Nähe, an Herzlichkeit, an Wärme. Da treffen sich, auch wenn sie aus unterschiedlichen Kulturen kommen, Menschen wie du und ich. Es ist das Beschreiten eines neuen Weges – und das nicht zuletzt, und es entspricht dem Ansinnen unseres Heiligen Vaters, im Geist der Barmherzigkeit.
Eine weitere Beobachtung: In diesen Wochen bekam einen Dialog mit zwischen zwei Müttern. Die eine von ihnen erzählte von ihren Erfahrungen bei einem Elternabend in der Schule. Die Lehrer wollten wissen, worauf die Eltern im Schulunterricht Wert legen. Die Antworten waren eindeutig: die Eltern wollten natürlich, dass ihre Kinder Lesen, Schreiben, Rechnen und auch Sprachen lernen und gute Leistungen bringen. Diese betreffende Mutter fügte allerdings noch hinzu: Ich wünsche auch, dass mein Kind lernt, mit anderen Kindern in gegenseitiger Rücksicht umzugehen, dass auch mein Kind lernt, angstfrei mit anderen Kindern umzugehen, dass Ehrfurcht und Vergebung unter den Kindern auch in der schulischen Erziehung eine angemessene Rolle spielt. Daraufhin wird, so die Mutter, eine der Lehrerinnen bewundernd und staunend sagen: „So etwas habe ich ja noch nie gehört.“
„Fürchtet euch nicht“ – das bedeutet auch, dass wir dieses lernen können im achtsamen Umgang untereinander. Und wir können uns Gott als Vorbild nehmen. Gott begegnet uns liebend in dem kleinen Kind so, dass keine Furcht aufzukommen braucht. Wenn das verstanden ist, dürfen wir darüber nachdenken, wie unsere Worte, wie unsere Gesichtsmimik, wie unsere Gebärden auf andere wirken. Durch unsere achtsamen Verhaltensweisen wäre viel an Ängsten und Furcht abzubauen.
Ängste entstehen dann, wenn wir etwas hergeben müssen. Das kann unsere gewohnten Prinzipien schmerzhaft berühren. Aber alles im Leben ist, sowohl in der großen Weltgeschichte als auch in den kleinen persönlichen Vollzügen des privaten Lebens, stets der Veränderung unterworfen. Vielen bereitet es Unbehagen, es macht Angst.
Die Liebe gegen alle Angst und Furcht dagegen zu setzen, darin sah eine große Heilige die Aufgabe ihres Lebens. Gewiss war es für sie auch ein Lernprozess. Ich meine die hl. Theresia von Avila. Von ihr wird gesagt, dass sie in ihrem Habit stets ein Zettelchen mit sich führte, auf dem Worte standen, die sie regelmäßig daran erinnerten sollten, aller Furcht und allen Ängsten die Erinnerung an die göttliche Liebe entgegenzustellen.
Viele von Ihnen wissen, was auf dem Zettelchen stand: „Nichts soll dich ängstigen nichts dich erschrecken. Wer sich an Gott hält, dem fehlt nichts. Gott allein genügt.“ Die große Heilige Spaniens weiß: Bei allen Veränderungen im Leben gibt es eine feste Konstante: Gott selber.
„Fürchtet euch nicht“. Es wird nicht immer leicht sein, diesen Gedanken des Trostes in unser Leben hineinzunehmen. Aber irgendwie wünschen möchte man es allen schon. Wo und wie sollen wir sonst Trost finden? Und das nicht nur zu Weihnachten.
Pfarrer Wolfgang Guttmann
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.