Liebe Schwestern und Brüder,
mein früherer Lehrer für Altes Testament liebte sein Fach. An der Universität Münster machte Erich Zenger (1939-2010) uns Studenten wiederholt klar, dass in der Zeit vor Jesus noch klare Ansagen herrschten: da war das Vergehen noch ein Vergehen, der Frevler noch ein Frevler und die Sünde noch ein Sünde. Die Propheten des Alten Testamentes verstanden ihre Aufgabe darin, dem Volk die oft unbequemen Wahrheiten direkt ins Gesicht zu sagen. Dabei gingen sie hohe persönliche Risiken ein. Johannes der Täufer war so ein Prophet dieser Art, obwohl er, an der Schwelle zum Neuen Testament stehend, nicht mehr zur Kategorie der Propheten des Alten Bundes zu zählen ist.
Jesus wird von diesem Rufer in der Wüste schwärmen. Im Matthäusevangelium (11,2-11) sieht Jesus in ihm ein Schilfrohr, das sich nicht biegt und im Wind schwankt. Johannes trägt als Asket keine feine Kleidung, wie es bei Wohlhabenden üblich ist. Für Jesus ist Johannes der ideale Zeuge des Glaubens, jener Bote, der ihm, Jesus, den Weg bahnen soll, damit Gott selber den Weg auf Erden antreten kann.
Das Verhältnis beider großen biblischen Gestalten Johannes und Jesus ist außergewöhnlich. Beide begegnen sich, so das Lukasevangelium, bereits zu der Zeit, wo sie noch gar nicht geboren waren. Als schwangere Frauen begegnen sich ihre Mütter Elisabeth und Maria. Elisabeth spürt in ihrem Leib die Regungen des ungeborenen Kindes. Die hochschwangere Elisabeth wird die ins Haus eintretende Maria mit den Worten begrüßen: „In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib“ (Lk 1,44).
Nicht in die Wiege wurde dem Sohn Elisabeths und des Tempelpriesters Zacharias die Berufung zum Mann Gottes gelegt, Johannes erhielt sie bereits im Mutterschoß. Er lebt diese Berufung konsequent. Er versteht sich als der Mahner für die Heilsbotschaft Gottes. Seine sündhaft lebenden Zeitgenossen bezeichnet er bedenkenlos als „Schlangenbrut“ (Mt 3,7) und ruft sie zur Umkehr auf. Trotz seiner direkten Anrede hat Johannes bemerkenswerten Zulauf. Die große Resonanz auf seine unbequeme Botschaft beruht nicht zuletzt auf der Glaubwürdigkeit seiner Person.
Davon wusste auch Herodes Antipas (37-4 v. Chr.). Er muss den kantigen Rufer sehr geschätzt haben, auch wenn der Herrscher den unangenehmen Mahner ins Gefängnis werfen ließ. Den neutestamentlichen Quellen nach inhaftierte Herodes Johannes deswegen, weil dieser ihm sagte, er habe nicht das Recht, Herodias, die Frau seines Bruders, zur Frau zu nehmen (Mt 14,3-12). Auch wenn der Täufer die Gebote Gottes auf seiner Seite hatte (vgl. Lev 18,16; 20,21), mochte Herodes diese Mahnung nicht hören. Für Herodes hätte es zur Konsequenz gehabt, seine ursprünglich eingegangene Ehe nicht aufzukündigen und die Beziehungen zu Herodias abzubrechen. Herodias wollte das erst recht nicht. Durch ein unvorsichtiges Versprechen gegenüber Salome, der Tochter von Herodias, wollte und musste Herodes sein Gesicht wahren und ließ Johannes schließlich enthaupten.
Johannes der mutige Mahner, der die Weisung Gottes auch dann den Menschen entgegenhält, wenn es den eigenen Kopf kosten kann. Genau das würdigte der Alttestamentler Erich Zenger als die klare und mutige Sprache der frühen Zeit. Wir könnten die belastenden Erfahrungen unserer Gegenwart aufgreifen und in verschiedenen Bereichen des Lebens ebenfalls zu einer direkten Sprache finden: Es steht dir nicht zu, ‚Fakes‘, also Falschmeldungen in die Welt zu setzen, um durch gezielte Unwahrheiten dir selbst oder anderen Vorteile zu verschaffen; Es steht dir nicht zu, andere in deine Abhängigkeit zu bringen und Wehrlose zu deinem Nutzen zu missbrauchen; Es steht dir nicht zu, dir die Taschen mit Boni-Zahlungen vollzustopfen, wenn du siehst, dass andere sich um ihren Arbeitsplatz große Sorgen machen müssen; Es steht dir nicht zu, Hassbotschaften ins Internet hineinzusetzen, um andere Menschen zu verunsichern und zu ängstigen.
Unbequeme Mahnungen dieser Art ließen sich fortsetzen. Wir leben in einer Zeit, wo viele das Gefühl haben, dass es kein regulativ mehr gibt und jeder nach den Regeln des eigenen Lustprinzips und damit auf Kosten anderer leben kann. Das zersetzt nicht nur eine Gesellschaft und bringt sie in eine gefährliche Schieflage. Es tut auch dem Menschen nicht gut. Der Mensch kann sich verrennen. Umkehr, so wie Johannes und Jesus sie einfordern, tut tatsächlich gut. In der Menschheitsgeschichte hat es viele gegeben, die erst zu spät eingesehen haben, wie sie sich im Leben verrannt hatten: „Hätte ich doch damals nicht …“, so lautet oft die Einsicht. Bei aller Einsicht ist jedoch das Rad der Geschichte ist nicht mehr zurückzudrehen.
Zu Johannes hatte Jesus eine außergewöhnliche Beziehung, stellten wir anfangs fest. Nicht allein, dass Jesus, obwohl es gar nicht nötig hatte, sich von Johannes taufen lässt. Daher der Beiname der ‚Täufer‘. Jesus als der Sohn Gottes ist auf die Taufe als Zeichen der Sündenvergebung nicht angewiesen (vgl. 2 Kor 5,21). Der Heilige Gottes solidarisiert sich jedoch und reiht sich ein in die Schar der Sünder.
„Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer“ (Mt 11,11), hören wir Jesus sagen. Gegenüber dem Rufer in der Wüste vollzieht Jesus eine wahre Heiligsprechung. Da ist nichts mehr darauf zu setzen, wenn nicht der nachfolgende Satz nachdenklich machen würde: „Doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.“ Meint Jesus damit sich selber? Fromme Leute sinnen noch heute über den Sinn dieses Satzes nach. Aber verstand Johannes seine Berufung nicht unter diesen Vorzeichen: „Er muss wachsen, ich aber muss geringer werden“ (Joh 3,30), und „Ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen“ Mt 3,11).
In seiner Größe bleibt Johannes der Bescheidene. Er weist hin auf den, der nach ihm kommt und dem alle unsere Verehrung gebührt.
Pfarrer Wolfgang Guttmann
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