Liebe Schwestern und Brüder,
während ich diese Zeilen niederschreibe, höre ich vom bitteren Schicksal des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi (*1984). Da er in seiner Heimat u.a. wegen „Unglaubens“ im Gefängnis sitzt, nahm seine Ehefrau für ihn den Sacharow-Preis des Europaparlaments entgegen. In seiner Abwesenheit wurde der Menschenrechtler gewürdigt, weil er dafür eintritt, Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig zu betrachten. Für seine Überzeugung sitzt er nicht nur seit Jahren im Gefängnis, sondern wurde mit vielen Peitschenhieben gequält und muss sogar mit dem Tode rechnen.
Auch an Weihnachten ist uns das Schicksal solcher mutigen Streiter für Menschenrechte nicht egal. Im Gegenteil, auch die Nacht ist uns Christen heilig. Hinein in die Nacht wird Jesus geboren. Weihnachten feiern heißt: sich der Nacht stellen. Wir bekommen es auch mit denjenigen zu tun, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Die Botschaft von Weihnachten will uns die Augen öffnen dafür, dass auch in der Heiligen Nacht viele Folterzellen voll sind, sich auch in der Heiligen Nacht terroristische und kriegerische Gewalt entlädt.
Es ist so, als wenn dunkle Kräfte revoltierten gegen eine bessere, eine menschlichere Welt. Ein Kampf zwischen Finsternis und Licht. Und inmitten in diese erbitterte Auseinandersetzung geschieht etwas Außergewöhnliches: das Kind wird geboren! Während andere Gewalt verherrlichen, feiern wir als Christen den Gott, der sich das Zusammenleben der Menschen ganz anders vorgestellt hat.
Gott das Schicksal der Menschen nicht gleichgültig. Gott begibt sich als wehrloses Kind hinein in die Auseinandersetzung der Welt. Er tut es auf nicht nachvollziehbare Weise. Christen dürfen sich stets in Erinnerung rufen, dass von diesem Jesus von Nazareth, dem Sohn Gottes, nie einen Aufruf zu Gewalt ausging, erst recht nicht zum Töten. Durch das Wirken Jesu kam nie ein Mensch zu Schaden, wurde nie einer verletzt, wurde niemandem Gewalt angetan. Was Jesus predigte, lebte er auch: „Liebt eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen, betet für die, die euch misshandeln“ (Lk 6,27-28).
Diese Grundeinstellung Jesu hat einen Menschen wie Mahatma Gandhi (1869-1948) tief überzeugt. Gerade vom Gebot der Feindesliebe war der leidenschaftliche Pazifist fasziniert. So sagte der indische Politiker einmal: „Jesus ist nicht allein für die Christen geboren, sondern für alle Menschen auf der Welt.“
Weihnachten feiern heißt: sich der Nacht stellen. Deswegen denken sie am Geburtsfest Jesu an solche mutigen Gestalten wie Raif Badawi einschließlich seiner Ehefrau und an alle, die zusammen mit allen Menschen guten Willens eintreten für Verständigung, Toleranz, Versöhnung und Frieden. Seine Ehefrau gibt nicht allein die Hoffnung nicht auf, dass sich beide in Freiheit wieder einmal in die Armeschließen können. Sie gibt ebenso die Hoffnung nicht auf, dass die gemeinsamen Visionen von einer besseren Welt auch in den arabischen Ländern tatsächlich einmal Wirklichkeit werden.
Was ein Wort im Dunkeln ausmacht, kann man bei Sigmund Freud (1856-1939) nachlesen. Er erzählt: Ein Kind, das sich in der Dunkelheit ängstigte, hörte ich ins Nebenzimmer rufen: „Tante, sag doch etwas, ich habe Angst!“ Daraufhin die Tante: „Aber was hast du davon, du siehst mich ja nicht.“ Daraufhin sagt das Kind: „Wenn du sprichst, dann wird es heller.“
In unsere Nacht der Angst und der Verzweiflung spricht Gott sein erhellendes Wort. Die Nacht uns Christen heilig. Der Glaube an Jesus, an das Gottes Wort, bedeutet vielen Menschen noch heute ganz viel. Jenes Wort, das liebevoll sagt: „Ich vergesse dich nicht, ich denke an dich, hab keine Angst.“
Das Licht der Heiligen Nacht möge durchscheinen auch durch unsere Worte, durch unser Verhalten, durch unsere Gebärden – am besten durch unser ganzes Leben.
Ihnen allen frohe und gesegnete Weihnachten!
Pfarrer Wolfgang Guttmann!