Liebe Schwestern und Brüder,
„Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude“ (Röm 12,8), schreibt der Apostel Paulus. Auch für Papst Franziskus ist die Ausübung der Barmherzigkeit ein Herzensanliegen. Jeder nimmt es ihm ab. Es ist so, als wenn der Himmel uns mit dem Heiligen Vater einen Boten schickt, der barmherziges Denken und Tun für die Welt wieder neu entdecken lässt.
Mit dem Marienfeiertag, 08. Dezember, wird Papst Franziskus offiziell das Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnen. „Das Werk der Barmherzigkeit ist eine aus dem Geist Jesu kommende Antwort auf das Schreien einer verwundeten Welt“, las ich in diesen Tagen als Überschrift. In Zeiten der Menschenverachtung und des Terrors ist das Zeichen göttlicher Barmherzigkeit nötiger denn je.
Die Schubkraft gelebter Barmherzigkeit in der Christentumsgeschichte ist bis heute überzeugend. Denken wir, um nur einige Beispiele zu nennen, an die sel. Mutter Teresa von Kalkutta (+1997). Überzeugend ebenso die Geschichte hl. Elisabeth von Thüringen (14. Jh.). Aus der frühen Kirche kennen wir den hl. Bischof Martin (4. Jh.), und noch etwas früher den hl. Bischof Nikolaus (3./4. Jh).
Viele dieser großen Heiligen durchlitten selber heftige Lebenskrisen. Persönliche Betroffenheit trägt offenbar wesentlich mit dazu bei, sich in die Not anderer hineinversetzen zu können. Im Leben des hl. Bischof Nikolaus, an den wir an diesem 06. Dezember denken, war es nicht anders.
Vom im kleinasiatischen Pataras – heutige Türkei – geborenen Nikolaus wird erzählt, dass er seine wohlhabenden Eltern durch Krankheit und Tod sehr früh verloren habe. Seinem Onkel, Bischof von Myra, wurde der Heranwachsende anvertraut. Nikolaus bekam eine angemessene Schulbildung. Nach dem Tod des Onkels wurde nun Nikolaus die Aufgabe des Bischofs von Myra herangetragen. Dabei nahm er sich der in Not geratenen Kinder und Familien an. Das von seinen Eltern übertragene Vermögen verschenkte er so an die Armen.
Als Beispiel wird dafür darf gelten die Legende vom verwitweten und verarmten Edelmann, der nicht wusste, wie er seine drei jungen Töchter durchs Leben bringen sollte. Die Überlegung, sie auf dem Sklavenmarkt anzubieten, kam einfach nicht in Frage. Bischof Nikolaus erkannte die Not. Er verhalf dem Edelmann mitsamt seinen drei Töchtern zu neuer Lebensperspektive. Des Nachts warf der Bischof deswegen drei Goldtaler durch das offenstehende Fenster der bedürftigen Familie. Der weitere Lebensunterhalt war so gesichert.
Bei vielen Heiligengestalten leuchtet auf, dass sie ihre Werke der Barmherzigkeit gern verrichteten, auch wenn die finanziellen Mittel geringer wurden. Wer gibt, wird selber reich beschenkt. Dabei weiß der Christ sich den Worten Jesu nahe, wenn der Sohn Gottes sagt: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen… Was ihr für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,35.40).
Barmherzige Menschen gibt es auch heute. Aus England kam in diesen Tagen die schöne Nachricht, dass ein Vermieter einfach mal seinem Mieter die Mietzahlung für den Monat Dezember erließ. In einem persönlichen Brief teilte der Vermieter seine Beobachtung mit, wie schwierig es für den Mieter in den letzten Monaten gewesen sein muss, trotz intensiver Bemühungen einer geregelten Arbeit nachzugehen. Weil trotz aller Engpässe die fällige Miete regelmäßig gezahlt wurde, wollte der Vermieter auf die Dezember-Miete nun verzichten. Er hoffe, dass der Mieter mit seiner Familie nun ein gutes und anständiges Weihnachtsfest feiern könne. „Wir machen einfach im Januar weiter“, schreibt freundlich und gutmütig der Vermieter und wünscht der Familie „Frohe Weihnachten!“. Wie weiter berichtet wird, lebe der Mieter mit den Kindern seiner Schwester zusammen. Diese sei vor einigen Monaten verstorben.
Barmherzigkeit verändert die Welt – Papst Franziskus weiß es. Und wer Barmherzigkeit übt, tue es, wie Paulus es schreibt, mit Freude. Lassen wir uns im Heiligen Jahr neu anstecken durch erstaunliche Überraschungen gelebter Barmherzigkeit. Am besten, wir tun es ein Leben lang.
Pfarrer Wolfgang Guttmann