Liebe Schwestern und Brüder,
„Wie sicher fühlen sie sich?“, fragt eine Tageszeitung ihre Leser. Vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Terrors dieser Tage bewegt diese Frage viele. „Es geht nicht spurlos an einem vorüber“, wird daraufhin eine Leserin antworten.
So oder ähnlich würden viele ihre Gefühlslage wiedergeben. Wer das Lukasevangelium (21,25-28.34-36) vom 1. Advent vernimmt, wird innerlich eine Brücke schlagen zu den Ereignissen unserer Zeit, wenn Jesus sagt: „Auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein. Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen.“
Unsere Gedanken schließen in diesen Tagen jene Opfer ins Gebet mit ein, deren Leben tatsächlich durch blindwütigen Terror bedroht wird oder vernichtet worden ist. Da ist unsäglich viel an Schmerz und Trauer durchzutragen. Viele Menschen mit ihren Familien wissen gar nicht, wie ihr Leben weitergehen soll. In den Tiefenschichten ihrer Seele sind viele bestürzt und ratlos und vergehen vor Angst.
Wer kennt zudem nicht jene Erfahrungen, die jeder persönlich durchlebt durch Demütigungen, durch Unfall, durch Krankheit, durch Verlust eines lieben Menschen? Und was ist, wenn wir selber im Sterben liegen und unser Leben durch den Tod bedroht wird? Auch in diesen Momenten werden seelische Kräfte erschüttert, können Sterne der Zuversicht vom Himmel fallen.
Unser Leben wäre trostlos, wenn es nicht eine Perspektive gäbe. Die Bibel geht tatsächlich davon aus, dass gewaltige Veränderungen einmal eintreten werden. Auch unser persönliches Leben geht auf Dauer so nicht weiter, ist begrenzt. Wann genau und wie diese Veränderungen eintreten, kann niemand vorhersagen. Leiblich betrachtet steht jedem Menschen sein persönlicher Untergang bevor.
Im Verständnis der Hl. Schrift ist das Wort Untergang, bzw. Weltuntergang allerdings mit größter Zurückhaltung zu verwenden. Es werden wohl Erschütterungen auf die Menschheit zukommen und damit auf jeden einzelnen Menschen. Am Ende steht aber nicht das Nichts. Jesus weiß darum. Seine Ermutigung daher: „Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; den eure Erlösung ist nahe“ (Lk 21,28).
Ein Ende als ein restloses Verschwinden ins Nichts kennt das Neue Testament nicht. Am Ende steht nicht die Katastrophe als Rückführung zum absoluten Nullpunkt. Mit dem „Ende“ bricht etwas Neues an, ein „neuer Himmel und eine neue Erde“ (Offb 21,1). Die Bibel weiß von einer Vollendung der Schöpfung, weiß von einem neuen Leben in Gott.
Bei unserer begrenzten gedanklichen Wahrnehmung kann man sich das eigentlich gar nicht vorstellen. Aber genau das macht unseren christlichen Glauben aus, denn Glaube im christlichen Sinn bedeutet: Gott restlos alles zutrauen. Auch jenes Zutrauen, dass Gott uns in unserer Endlichkeit einen neuen Anfang setzt, neues Leben schenkt.
Das alles hat etwas mit Advent zu tun. Advent bedeutet, bei aller Angst und bei aller Weltuntergangsstimmung vom Leben noch viel erwarten, weil Gott uns Unvorstellbares bereithält.
Advent ist mehr als ein sich Gedanken machen über anstehende Weihnachtsgeschenke, so schön dieser christliche Brauch auch ist. Diese Gepflogenheit hat was, weil man denjenigen, die einem nahe stehen oder denen unsere Nähe zu gelten hat, zum Weihnachtsfest eine besondere Freude bereiten möchte. Als christliches Motiv leuchtet hier die Nächstenliebe auf.
Darüber hinaus gibt es in der Adventszeit verschiedene Formen der Andacht. Advent schließt stets das Gebet mit ein: „Wachet und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt“, heißt es im Lukasevangelium weiter (21,36). Glaubensschwestern und –brüder von der ev.-luth. Marienkirche halten daher im Advent bis Heiligabend täglich um 18.00 Uhr vor wechselnden Hausadressen in Quickborn inne, um bei Gebet und Gesang eine Andacht zu halten. In der röm.-kath. Kirche ist die Feier der Rorate-Messe eine bekannte Tradition. Im mit Kerzenlicht erleuchteten Gotteshaus wird donnerstagsmorgens um 06.00 Uhr hl. Messe gefeiert. Diese christlichen Bräuche haben viel mit Advent zu tun: „Wachet und betet“.
Wer an diesen Formen von Gottesdiensten nicht teilnehmen kann, nimmt sich ein Gesang- und Gebetbuch vor und hält, möglicherweise auch im Kreis der Familie, eine Hausandacht. Wer geistlich innehält, wird in den vielen Verunsicherungen des Lebens einen wunderbaren Halt und eine wohltuende göttliche Kraft spüren.
„Wie sicher fühlen sie sich?“ Diese Frage bewegt nicht allein die politische Öffentlichkeit. Die Beantwortung dieser Frage darf ebenso auch unser Verhältnis zu Gott berücksichtigen. „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter; den eure Erlösung ist nahe“. Jesus will unser Gottvertrauen stärken. Als Sohn Gottes begleitet er uns schon jetzt auf den Wegen unseres Lebens.
Pfarrer Wolfgang Guttmann