Liebe Schwestern und Brüder,
Menschen können zu Rivalen werden. Die zugefügten Verletzungen welcher Art auch immer können heftig sein. Aber im Nachhinein hat man nicht selten zuzugeben: oft sind die anderen nicht das, für was man sie auszumachen meint. Sie sind oft ganz anders. Das ist im privaten Leben so, im öffentlichen Leben nicht anders und natürlich auch in den Religionen: Fehleinschätzungen kommen überall vor.
Es gibt jemanden, der von diesen Fehleinschätzungen abhalten will: niemand anders als Jesus. Er sagt: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns“ (Mk 6,34). Eine mutige Aussage. Denn jeder, der sich nicht ausdrücklich gegen ihn stellt, wird direkt oder indirekt zum Sympathisanten erklärt. Für unsere Ohren klingt das gewollt angepasst, weil wir immer noch so denken: Ich bin O.K., der andere ist nicht O.K.!
Gegensätzliches Denken gab es auch zur Zeit Jesu. Die Jünger Jesu äußern ihre Vorbehalte. Sie wollen es nicht gelten lassen, dass einer, der nicht zum Jüngerkreis Jesu dazugehört, sich mit einem mal als Wundertäter erweist, also Gutes tut. Spannungen kommen auf. Die Jünger Jesu wollen zum Betreffenden auf Distanz gehen. Die von Jesus vorgelebte und gepredigte Offenheit anderen gegenüber wird ausgeblendet. Nun kommt die Mahnung Jesu: „Hindert ihn nicht! Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (Mk 9,39-40).
Übertragen auf unsere heutige Lebenswirklichkeit entdecken wir Parallelen. Ermutigend sind bekannte Aussagen wie: „Wir glauben doch alle an den einen Gott.“ Diese Einsichten lassen uns zusammenrücken vor allem auch zwischen den Angehörigen verschiedener christlicher Konfessionen oder auch Religionen. Ebenso zu erwähnen wären auch diejenigen, die sich unabhängig von Glaube und Religion für die unverzichtbaren Rechte von Menschen oder für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Auch wenn sie nicht im Namen Jesu auftreten, sie tun doch viel Gutes. Hinsichtlich dieser Personengruppen könnte Jesus ebenfalls sagen: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.“ Jesus hilft, überflüssige Gegensätze abzubauen.
Papst Franziskus folgt ihm. Auf seiner mit viel Aufmerksamkeit versehenen Amerikareise spricht der Heilige Vater gerade jene an, die nicht Christen sind. Der Heilige Vater macht auf gemeinsame Ziele aufmerksam und wirbt darum, den Weg dorthin gemeinsam zu gehen: Papst Franziskus wirbt überhaupt um eine Kultur der Achtsamkeit der Schöpfung Gottes gegenüber. Mit allen Menschen guten Willens ruft er dazu auf, Hunger und Armut zu bekämpfen, den Ausgeschlossenen ihre Würde zurückzugeben. Klare Worte findet der Papst auch hinsichtlich der Todesstrafe, denn eine gerechte und notwendige Bestrafung darf niemals die Dimension der Hoffnung und das Ziel der Rehabilitierung ausschließen. Und schließlich ruft der Papst dazu auf, keine Angst vor Fremden zu haben, sondern sie als Menschen zu sehen und ihr Leben zu begreifen. „Unsere Welt ist in zunehmendem Maß ein Ort gewaltsamer Konflikte, von Hass und brutalen Grausamkeiten, die sogar im Namen Gottes und der Religion verübt werden“, mahnt der Papst. Ausgewogenheit sei nötig, um diese Art von Gewalt zu bekämpfen, und zugleich Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und persönliche Freiheit zu schützen.
„Papst Franziskus verkörpere die stärkste moralische Stimme der Welt“, sagt der Bürgermeister New Yorks: „Der Papst hat mit seinen Ideen Menschen berührt, unabhängig von deren Glauben und Herkunft.”
In unserer Zeit, wo so viele Frauen und Männer mit ihren Familien zu uns kommen, weil sie es in ihren Ländern wegen Krieg, Gewalt und Armut nicht mehr aushalten, erwächst eine neue Solidarität nicht nur jenen gegenüber, denen unsere Sorge gilt. Es erwächst auch eine neue Solidarität unter denen, die zur Hilfe gegenüber den beklagenswerten Menschen bereit sind, und aus ihrem bereitvollen Herzen heraus Gutes tun – unabhängig von Glaube, Religion und Herkunft. Jesus wird diese Solidarität unterstützen helfen: „Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.“
Pfarrer Wolfgang Guttmann