Liebe Schwestern und Brüder,
viel Lob ist in diesen Tagen zu hören für die Bereitschaft in unserem Land, Flüchtenden zu helfen. Auch bei uns in Quickborn gibt es tatkräftige Unterstützung. Unsere Migrationsbeauftragte bedankt sich ausdrücklich bei allen Kuchenspendern. Die Caritas warb mit einem Kuchenverkauf bei den Quickborner Stadtwerken für das regelmäßig stattfindende Flüchtlings-Café, bei dem viel Integrationshilfe geleistet wird. Ein bemerkenswerter Betrag kam erfreulicherweise zur Unterstützung der Bemühungen um Eingliederung zusammen.
Die Bereitschaft, Flüchtenden zu helfen, ist groß. Das bittere Leid der Menschen rührt an. Laut einer Umfrage empfindet dabei die Mehrheit der Deutschen die Aufnahme der Flüchtenden nicht als Bedrohung. Dennoch gibt es auch nicht wenige, die sich Sorgen machen. Unter den nach Europa kommenden sind nur wenige Christen. Es sind weitaus mehr Menschen aus anderen Kulturen versehen mit einem anderen Glauben. Wie wirkt sich das bei uns für die Zukunft aus?, fragen nicht wenige besorgt.
Diese Frage wurde in diesen Tagen auch unserer Kanzlerin gestellt. In der schweizerischen Hauptstadt Bern wurde Angela Merkel während einer Feierstunde an der Universität zur Verleihung ihrer Ehrendoktorwürde gefragt: „Wie wollen Sie Europa und unsere Kultur schützen?“
Unter breiter Zustimmung der Anwesenden sagte die Kanzlerin: „Wir haben doch alle Chancen und alle Freiheiten, uns zu unserer Religion zu bekennen. Wenn ich etwas vermisse, dann nicht, dass sich jemand zu seinem muslimischen Glauben bekennt. Haben wir doch selber den Mut zu sagen, dass wir Christen sind. Haben wir auch Mut zu sagen, dass wir in einen Dialog eintreten. Ich finde diese Debatte sehr defensiv. Sich darüber zu beklagen, dass Muslime sich im Koran besser auskennen, das finde ich irgendwie komisch. Vielleicht kann uns diese Debatte auch dazu führen, dass wir uns wieder neu mit unseren eigenen Wurzeln befassen. Es gibt bei uns ja die Tradition, wieder einmal in den Gottesdienst zu gehen oder bibelfester zu sein, um vielleicht auch einmal ein Bild in einer Kirche erklären zu können.“ Bemerkenswerte Worte.
Unerwartete Unterstützung für die Faszination des christlichen Glaubens erhalten wir von einer Seite, von der wir es nicht erwarten – vom Islam. Ein Muslim schreibt ein Buch über das Christentum mit dem Titel „Unerwartetes Staunen“. Navid Kermani, so der Name des Autors, erhält im Oktober in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der überzeugte Demokrat, renommierter deutscher Schriftsteller, islamischer Gelehrter und gläubiger Muslim versenkt sich in die Welt christlicher Bilder und verspürt dabei eine dynamische geistliche Kraft, die von diesen Bildern ausgeht.
Sein Buch liest sich wie eine Liebeserklärung an das Christentum, eine Liebeserklärung, wie sie ein Christ so wohl nicht an seine Religion hätte schreiben können. Erst der Abstand, die Perspektive der anderen Seite mache diesen Blick möglich, schreibt der Autor. Dabei gibt es jedoch etwas, was ihn beunruhigt. Er nennt es einen religiösen Analphabetismus. Wenn Religion Ausdruck dessen ist, was der Mensch ist, dann kann man nur beunruhigt sein hinsichtlich einer Verständnislosigkeit gegenüber der eigenen Tradition und Kultur, wie sie hier in unserem Umfeld vorzufinden ist. Für sein Buch, für seine Liebeserklärung an das Christentum können wir Navid Kermani nicht genug danken.
Wir merken, wie in unserer Zeit vieles in Bewegung kommt, sich neu aufmischt. Der Glaube, gerade auch unser christlicher Glaube wird neu angefragt. Wie hältst Du es mit dem Glauben an Gott, an Jesus? Wir stellen diese Frage zu Recht. Dabei merken wir zu wenig, wie Jesus selbst diese Frage an uns richtet. „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mk 8,29), hören wir Jesus im Evangelium fragen. Wer bin ich für euch? Was bedeute ich dir?
Wenn Jesus so fragt, dann geht es ihm allerdings nicht um Informationen, diese braucht Jesus nicht. Jesus als der Sohn Gottes ist uns näher, als wir es uns selbst sein können. In den Tiefen unserer Seele hat er uns längst ergründet. Wenn Jesus fragt, dann geht es ihm darum, dass wir uns anrühren lassen, in uns selbst hineinschauen.
„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“. Was würden wir Jesus antworten? Während eines Bibelgespräches brachte jemand ein: „Jesus ist für mich zu 100% Gott und zu 100% Mensch.“ Aufgrund des klaren Bekenntnisses staunten die Beteiligten nicht schlecht. Es liegt auf der Ebene dessen, was wir im Credo über Jesus bekennen: „Wahrer Gott vom wahren Gott, … eines Wesens mit dem Vater.“ Ein anderer bekannte im Hinblick auf das Kreuz Jesu: „Jesus ist für mich der, der das Leid zu Gott hin öffnet. Jesus gibt dem Leid einen letzten Sinn.“
Wer denkt da nicht an das Leid unserer Tage. Ob die vielen Helfenden unbewusst auch ein Glaubensbekenntnis ablegen, weil sie eine Ahnung davon haben, dass die Opfer von Krieg und Gewalt nicht in erster Linie Flüchtlinge sind, sondern vor allem Menschen? Dieses Leid lässt uns nicht gleichgültig sein. Mit den uns gegebenen Möglichkeiten wollen wir alle ihnen ihr Kreuz tragen helfen.
Pfarrer Wolfgang Guttmann